Kultur

Alexandra Reinwarth: Königin des “Am Arsch vorbei”- Imperiums

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Alexandra Reinwarth hat einen der erfolgreichsten Ratgeber der vergangenen Jahre geschrieben. Ihr Tipp: Entspannt euch mal!

Bestsellerautorin Alexandra Reinwarth, 45, in ihrer Wohnung in Valencia

Eine Altbauwohnung im spanischen Valencia, die Tür geht auf, ein Küsschen auf die Wange zur Begrüßung. Auch ein Bier? Mit ihrer entwaffnenden Kumpel-Aura könnte Alexandra Reinwarth, eine schlanke, wache Frau in legerer Kleidung, auch eine engagierte Sozialpädagogin oder Lehrerin sein.

Reinwarth, 45 Jahre alt, ist die unbekannteste deutschsprachige Bestsellerautorin. Wenige wissen, wie sie aussieht. Niemand spricht sie auf der Straße an. Sie war noch nie in einer Talkshow. Es gibt kaum Porträts oder Interviews.

Ratgeber-Business

Warum nur? Sie zuckt mit den Schultern. “Weiß ich auch nicht”, sagt sie. “Ich mache mich nicht rar, ich mach ja jeden Scheiß mit, wenn einer fragt. Aber ich hab ja nix Spektakuläres erlebt. Bin nirgendwo runtergestürzt oder entführt worden.”

Das stimmt. Und ist dennoch untertrieben. Spektakulär ist der Erfolg ihrer Bücher. Mehr als zwei Millionen hat sie wohl davon verkauft. So ganz genau weiß sie das selbst nicht.

Alexandra Reinwarth ist im Ratgeber-Business tätig. Sie ist so etwas wie die Punk-Version von Paulo Coelho. Ihr bekanntestes Buch heißt “Am Arsch vorbei geht auch ein Weg. Wie sich dein Leben verbessert, wenn du dich endlich locker machst”. Der Ratgeber für mehr Gelassenheit verkaufte sich seit 2016 rund 600.000 Mal. Noch im vergangenen Jahr stand er hierzulande auf Platz acht der meistverkauften Sachbücher.

Reinwarth in der Nähe ihrer Wohnung in Valencia. In einem anderen Viertel der Stadt hat sie sich von ihren Buchhonoraren zwei alte Häuser gekauft, die sie renovieren will.

Seit fast 20 Jahren wohnt Alexandra Reinwarth in Spanien. Mit ihrem schwarzen Haar und den dunklen Augen hält man sie hier in Valencia meist für eine Eingesessene. Ihre große Wohnung im Stadtzentrum ist herrlich unaufgeräumt und hat einen atemberaubend schönen Mosaikfußboden. In der Küche steht wie eine Trophäe ein schwarzer Toaster in Form eines Darth-Vader-Helms. “Mein Sohn Fritz hat ihn gesehen und gesagt, er könne ohne ihn nicht weiterleben”, erklärt Reinwarth. “Ich musste den kaufen.” Man kann den Jungen verstehen: Den fertigen Toast ziert das eingebrannte “Star Wars”-Logo. Fritz ist fünf. Sein Vater ist Reinwarths Lebensgefährte, den sie in ihren Büchern stets nur L. nennt. Er ist Deutscher und betreibt in Valencia ein Restaurant. Mehr, findet L., müsse man über ihn nicht wissen. Beide sind seit 15 Jahren glücklich miteinander, leben aber in verschiedenen Wohnungen. Sie mögen die Mischung aus Nähe und Distanz.

In ihrem Erfolgsratgeber widmet sich Reinwarth allen möglichen Nervfaktoren des täglichen Lebens. Genüsslich beschreibt sie den Quälgrad von Regeln und Konventionen, kritisiert den Zwang zu Bikinifiguren, falschen Schönheitsidealen und schimpft über fordernde Freunde, beknackte After-Work-Partys, ungebetene Ratschläge und doofe gemeinsame Hobbys. Das alles – so ihre ständig wiederholte Botschaft – solle man sich bitte getrost am Arsch vorbeigehen lassen.

Das haben andere auch schon gesagt. Aber so lustig wie Reinwarth hat’s eben noch keine aufgeschrieben. Und auch wenn wohl kaum jemand all ihre rotzigen Scheißegal-Ratschläge umsetzen wird: Allein das Lesen entlastet. Alexandra Reinwarth ist das personifizierte Gegenmodell zum Selbstoptimierungswahn. Eine sprücheklopfende Expertin für nix und irgendwie für alles. Ihre Quelle: sie selbst und ihre Weltsicht. “Ich habe mein Leben aufgeräumt und erzähle darüber”, sagt sie. “Ich will sozusagen Sinnsprüche in Handlungsvorschläge verwandeln.” Ob es um Glück, Sex, Beziehungen, Freundschaft oder mangelndes Selbstwertgefühl geht – immer hat sie einfache Antworten: Entspann dich. Lebe im Hier und Jetzt. Sei du selbst und nicht so, wie die anderen es wollen.

Kneipenkollektiv

Reinwarths Bücher lesen sich, als hätte sie ein bekiffter Dalai Lama verfasst, der sich vor dem Schreiben das Pathos weggeraucht hat. Die Autorin liefert Weisheiten von schlichter Schönheit und schreibt dabei so locker, wie sie ihren Leserinnen rät zu sein. Und die reißen ihr die Bücher aus den Händen. Denn so wie Alexandra wollen sie auch gern sein. So konsequent, so selbstgewiss, so kompromisslos. Und so abenteuerlustig. Denn spießig kann man ihren bisherigen Lebenslauf nicht gerade nennen.

Nach Spanien hat es Reinwarth durch Zufall verschlagen. 2000 besuchte sie mit ihrem damaligen Partner Freunde in einem kleinen spanischen Dorf. Und bei einem Spaziergang sagten die so ganz nebenbei: “Schaut mal, da oben das Haus ist zu verkaufen.” Sie gingen hin, nur um mal zu gucken. Reinwarth gefiel das uralte kleine Steinhäuschen mit dem Orangenbaum davor sofort. Sie und ihr Partner kauften es und zogen nach Spanien. Er arbeitete als Musiker für Werbefilme, sie in einem Laden als Verkäuferin.

Ausprobiert hat sich Reinwarth schon immer gern. Geboren ist sie 1973 in Nürnberg, bürgerliche Familie, drei Kinder, der Vater Versicherungskaufmann, die Mutter medizinisch-technische Assistentin. Nach dem Fachabi ging Alexandra Reinwarth nach München und begann ein ausgiebiges Studium der Sozialpädagogik. Es dauerte eine Woche. Dann war ihr klar: Das geht gar nicht. “Ich habe mich dann”, bekennt sie, “ganz dem Essen und Trinken gewidmet und bin in ein Kneipenkollektiv eingestiegen.”

Hadern und abwarten war noch nie eine Option für Alexandra Reinwarth. Ihre Mutter, erzählt sie, habe einmal über ihre toughe Tochter gesagt: “Alexandra ist ein Mensch, den wirfst du aus dem Hubschrauber über dem Urwald ab, und er kommt durch. Um sie muss man sich nicht kümmern.”

Reinwarth kam dann auch ganz gut in Spanien zurecht, arbeitete als Producerin für Werbefilme, wurde arbeitslos, erfand sich dann mal wieder neu. Ein deutscher Freund erzählte ihr von einem Buchprojekt und fragte, ob sie nicht Lust hätte, in einem Team daran mitzuarbeiten. Sie hatte und war fortan im Buchgeschäft. Das erste gemeinsame Werk hieß: “Fmieb – Wörter, die die Welt noch braucht”, eine Sammlung von erfundenen Begriffen, die Dinge und Handlungen beschreiben, für die es noch keine Wörter gibt. “Fmieb” zum Beispiel ist der im Entstehen abgestorbene Nieser. Es folgte das Buch “Arschgeweih”, ein – wie Reinwarth sagt – “kleines, böses Werk über Zeitgeistphänomene”.

Hat sie gewusst, dass sie Talent als Autorin hat? “Na ja”, sagt sie. “Ich war immer Deutschlehrers Liebling. Aber wirklich Talent? Nee, wusste ich nicht. Ich bin da halt so reingerutscht. Es lief ja auch ganz lange eher so mau, aber dann nach und nach immer besser.”

Am-Arsch-vorbei-Ausfüllbücher

Was daran lag, dass sie ihr Profil schärfte und fortan ihren eigenen, speziellen Zugang zu Themen fand. “Das kann ich ganz gut”, erklärt sie, “mir ein Projekt suchen, Dinge machen und dann drüber schreiben, was ich da erlebe und was das mit mir macht.” Wie 2012 in ihrem Buch “Das Sexprojekt – Wie ich (mich) auszog, die beste Liebhaberin der Welt zu werden”. Dafür schluckte sie Aphrodisiaka, probierte Dirty Talk, lernte Tantra-Sex und holte sich Tipps von einem Edel-Callgirl. “Damals”, sagt sie heute selbstkritisch, “war ich wohl zum Teil etwas sehr unbeschwert unterwegs. Heute würde ich wohl nicht mehr so aus dem Nähkästchen plaudern.” Das Buch lief nicht schlecht, aber das erste richtig gute Geld verdiente Reinwarth mit einer bestechend schlichten Idee. Sie erfand vor rund zehn Jahren die “Was ich an dir liebe”-Reihe. Dabei handelt es sich um Ausfüllbücher, die man dem Partner, Familienmitgliedern oder Freunden schenkt. Jedes enthält vorgefertigte Sätze, die man sehr persönlich vervollständigen soll. Sätze wie “Mein erster Gedanke, als ich dich zum ersten Mal sah …” oder “Wofür ich dir besonders dankbar bin …”. Das ideale Geschenkbuch für alle, denen sonst nichts einfällt. Mehr als eine Million Exemplare hat sie davon verkauft. “Das haben wir echt ausgereizt”, gesteht Reinwarth. Damals hat sie gelernt, wie man eine gute Idee bis zum Erbrechen vermarktet. Es erschienen “Was ich an dir liebe”-Kalender, -Klebezettel, -Paar-Tagebücher und sogar eine “Was ich an dir liebe”-Soundmaschine mit Komplimenten zum Hören auf Knopfdruck.

In die normalen Bestsellerlisten kam Reinwarth mit dieser Sorte Bücher nicht. Dann hatte sie 2016 die Idee für das Am-Arsch-vorbei-Buch. Natürlich weiß sie, dass sie dort einen obercoolen Idealtypus propagiert. Niemand kann sich ständig alles am Arsch vorbeigehen lassen, ohne selber einer zu werden. Aber gerade Frauen, findet Reinwarth, sollten schon ein bisschen weniger duldsam sein und nicht ständig Dinge machen, die ihnen nicht guttun. Ihr geht es ums Grundsätzliche. Bedingung für eine Freundschaft könne nicht sein, dauernd bei Umzügen zu helfen oder schlechten Konzerten von untalentierten Kindern zu lauschen. “Ich will diese dauernden Kompromisse nicht mehr, nur um auch garantiert gemocht zu werden”, sagt sie. “Wir Frauen neigen leider dazu. Man sollte sich gewissen Dingen einfach mehr verweigern.”

Mittlerweile hat Reinwarths Verlag auch aus ihrem Erfolgsbuch ein regelrechtes Arsch-Imperium erbaut. Es gibt Am-Arsch-vorbei-Ausfüllbücher, -Klebezettel, -Postkarten, -Wochenkalender, -Adventskalender, -Aufgabenhefte, -Haushaltsbücher, Gelassenheits-Soundmaschinen, Am-Arsch-vorbei-Shirts, -Taschen und -Becher sowie eine Buddha-Figur mit hochgerecktem Stinkefinger. Ein Problem mit dieser Vermarktungsstrategie hat Reinwarth nicht. “Warum auch? Solange es funktioniert.” Vorwürfe, sie würde ihren Erfolg zu sehr auswalzen, gehen ihr genau wie schlechte Kritiken – man hat es nicht anders erwartet – “am Arsch vorbei”.

Reinwarths größter Erfolg: der lockere Ratgeber “Am Arsch vorbei geht auch ein Weg”

Ihr Leben habe sich nach den Bucherfolgen insgesamt nicht groß verändert. “Außer”, sagt sie, “dass ich jetzt mehr Geld und weniger Angst vor Altersarmut habe. Aber die meiste Kohle habe ich ohnehin sofort wieder rausgehauen. Aber nicht sinnlos.” Vor zwei Jahren hat sie sich in Valencia zwei alte, renovierungsbedürftige Häuser gekauft. Stolz zeigt sie ein Foto. “Jugendstil. Hammer, oder?” Die Häuser stehen in einem etwas heruntergekommenen Viertel, das ein bisschen wie Havanna aussehe. “Damals dachten alle, ich spinne. Aber ich will die renovieren. In das eine will ich selber oben einziehen, und unten soll meine Mutter wohnen. Die hole ich hierher. Und in das andere soll unten ein Café rein und oben ein Bed-and-Breakfast-Hotel. Ich warte allerdings seit zwei Jahren auf die Erlaubnis zur Renovierung. Auch das ist Valencia.” Die Spanier scheinen es ebenfalls eher gelassen anzugehen.

Alexandra Reinwarth Sternzeichen: “Brikett”

Derzeit schreibt Reinwarth an einem neuen Buch. Es wird “Glaub nicht alles, was du denkst” heißen. Ein Werk über typische Fehler, die man macht, weil man denkt, dass jeder Gedanke im Kopf auch immer richtig und wichtig ist.

Es ist Abend geworden in Valencia. Am Himmel leuchten die Sterne, ein herrlicher Anblick. “Wenn mich einer nach meinem Sternzeichen fragt”, sagt Reinwarth, “dann antworte ich immer: Ich bin Brikett.” Mit anderen Worten: Astrologie geht ihr auch am Arsch vorbei.

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