Wirtschaft

Der unsichtbare Weltmarktführer aus Oranienburg

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Im Norden Berlins produziert Takeda, eines der größten Medizin-Unternehmen der Welt. Der japanische Konzern will weiter in die Region investieren.

Im Takeda-Werk in Oranienburg arbeiten rund 750 Menschen.

Wenn man über Industrie im Norden von Berlin spricht, ist meist vom Zughersteller Bombardier die Rede. Oder von den Riva-Stahl-Werken in Hennigsdorf. Selten hört man, dass nur wenige Kilometer nördlich davon, in Oranienburg, eines der wichtigsten Medizin-Unternehmen der Welt produziert: Takeda, größter Pharma-Konzern Japans.

Seit der 62-Milliarden-Dollar-Übernahme des US-Wettbewerbers Shire im vergangenen Winter – einer der teuersten Pharma-Deals der vergangenen Jahre – ist Takeda weltweit unter den Top Ten. Welche Rolle spielt die Region Berlin-Brandenburg für die Zukunftspläne des Unternehmens?

Das Hilton-Hotel am Gendarmenmarkt. Gerade eben ist eine Betriebsversammlung aller Takeda- und Shire-Mitarbeiter der Region zu Ende gegangen. In Deutschland beschäftigt der Konzern nach der Shire-Übernahme rund 2300 Menschen, allein 750 davon in Oranienburg. Weitere Standorte hat das Unternehmen in Berlin, wo die Vertriebsteams von Takeda und Shire angesiedelt sind, sowie in Konstanz und Singen in Baden-Württemberg.

Jetzt sitzen nur noch Giles Platford, Europa- und Kanada-Chef von Takeda, und Heidrun Irschik-Hadjieff, Deutschland-Chefin des Konzerns, in dem Konferenzraum gegenüber des Deutschen Doms. Wenn es nach ihnen geht, weiß bald jeder, dass Takeda in Oranienburg zu Hause ist.

100 Millionen Euro nach Oranienburg

„Sowohl Shire als auch Takeda waren in Deutschland sogenannte ‘Hidden Champions’“, beginnt Irschik-Hadjieff. Das soll sich jetzt ändern. Man werde in Deutschland „an Marktpräsenz zulegen“, kündigt sie an. Im Moment stehe aber die Zusammenführung mit Shire im Mittelpunkt. „Unter Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen soll bis Ende dieses Jahres die Integration in Hinblick auf Arbeitsstrukturen abgeschlossen sein“, sagt Irschik-Hadjieff.

Entlassungen soll es in diesem Zusammenhang nicht geben. Im Gegenteil. Takeda begann vor einigen Jahren mit Investitionen in den Standort Oranienburg. 100 Millionen Euro sollen insgesamt ausgegeben werden, wobei knapp 23 Millionen davon öffentliche Fördermittel sind. Doch perspektivisch soll so die Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze gesteigert werden.

„Takeda ist der Leuchtturm und die Betriebserweiterung ein guter Tag für Oranienburg“, hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke schon 2017 bei der Eröffnung einer neuen Produktionshalle gesagt. Derzeit werden dort jedes Jahr zwischen sechs und sieben Milliarden Tabletten und Kapseln produziert. 118 verschiedene Medikamente werden hergestellt, darunter Mittel gegen Magen-Darm-, Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel- sowie neurologische Erkrankungen.

Zusammenarbeit mit Start-ups

Für Platford ist die Hauptstadtregion noch aus einem anderen Grund attraktiv. „Deutschland, und Berlin im Besonderen, ist ein führendes Ökosystem der Gesundheitswirtschaft“, meint der Manager. „Inzwischen gibt es auch eine führende Digitalwirtschaft in Berlin.“ Und davon will Takeda profitieren. Der Konzern veranstaltet regelmäßig Veranstaltungen in seiner Zentrale, bei denen Health-Start-ups ihre Geschäftsideen vorstellen können. Wenn es passt, bietet Takeda eine Zusammenarbeit oder Beteiligung an.

„Ein gutes Beispiel dafür, wie gut uns Start-ups ergänzen können, ist die App myPKFiT im Bereich der Hämophilie“, erzählt Irschik-Hadjieff. Bisher war es im Alltag häufig schwer für Patienten, einzuschätzen, wann sie ihre Medikamente in welcher Dosierung einnehmen müssen. „In dieser App ist das hingegen ganz einfach heruntergebrochen auf eine Batterie-Anzeige“, sagt die Deutschland-Chefin. „Wenn sie leer ist, weiß der Patient, dass er wieder sein Medikament nehmen muss.“

118 Medikamente werden hergestellt – ob gegen Magen-Darm-Probleme oder neurologische Erkrankungen.

Den Schwerpunkt legt Takeda auf seltenen Krankheiten. Rund 7000 davon gibt es. In der EU wird eine Krankheit als selten eingestuft, wenn weniger als fünf von 10.000 Einwohnern darunter leiden. Der Pharma-Markt dahinter gilt als lukrativ. Denn die Konzerne argumentieren: Wenn nur wenige Patienten betroffen sind, müssen hohe Preise für entsprechende Arzneimittel verlangt werden, um die Forschungs- und Entwicklungskosten zu refinanzieren.

Preise für die sogenannten „Orphan Drugs“ können deshalb schnell mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr betragen. Forciert wurde die Forschung in diesem Bereich durch eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2000, die Förderung für die Entwicklung geeigneter Medikamente in Aussicht stellte. Seitdem kamen in der EU 164 neue Mittel auf den Markt.

KI zur Diagnose seltener Krankheiten

Ausgerechnet hier ist Takeda dank der Shire-Übernahme nun Weltmarktführer. „Shire hat herausragende Methoden entwickelt, seltene Erkrankungen in einem sehr frühen Stadium zu diagnostizieren“, erklärt Platford. Die Diagnostik sei noch immer die größte Herausforderung bei seltenen Krankheiten. „Viele Ärzte sehen diese Krankheitsbilder vielleicht nur ein- oder zweimal in ihrem Berufsleben“, weiß Platford.

Künstliche Intelligenzen könnten die Wahrscheinlichkeit einer seltenen Erkrankung anhand der Symptome sehr viel genauer erkennen als ein Mensch. „Schließlich macht es für eine KI keinen Unterschied, ob die Symptome auf einen Schnupfen oder auf eine seltene Krankheit hindeuten – anders als ein Arzt hat eine KI alle möglichen Erkrankungen durch das einfachere Verarbeiten riesiger Datenmengen präsent.“

Ob das reicht, um an der Spitze des Marktes zu bleiben, ist ungewiss. Im jährlichen Orphan-Drug-Report gehen die Forscher zwar davon aus, dass der Anteil von Medikamenten für seltene Krankheiten bis 2024 auf 12,4 Prozent aller Arzneimittelverkäufe weltweit steigt. Mit Umsätzen von 242 Milliarden US-Dollar sollen sie ein Fünftel des Pharmamarktes ausmachen und damit doppelt so schnell wachsen wie das restliche Geschäft. Die Forscher gehen davon aus, dass die Marktführerschaft in den nächsten fünf Jahren Pfizer, Johnson & Johnson und Roche unter sich ausmachen werden. Rechnet man aber die seltenen Krankheiten aus dem Bereich der Krebserkrankungen aus der Bilanz heraus, schreibt die Studie Takeda die Spitzenposition im Jahr 2024 zu.

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