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Deutsch-syrische Städtepartnerschaft: Hilfe aus dem hippen Kreuzberg

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Die nordsyrische Kleinstadt Derik versucht mühsam, sich von den Folgen von acht Jahren Bürgerkrieg zu befreien. Hilfe kommt jetzt ausgerechnet aus dem fernen Berliner Stadtbezirk Kreuzberg.

Fast 4000 Kilometer trennen den Berliner Stadtteil Kreuzberg von der Kleinstadt Derik an der Nordostspitze Syriens. Zwischen dem hippen, multikulturellen Kreuzberg und dem kriegsverwüsteten Derik liegen damit nicht nur geographisch Welten. Die größte Sorge im linksalternativen Kreuzberg mit seiner starken türkischstämmigen Bevölkerung ist die Gentrifizierung. Im 26.000 Einwohner zählenden Derik mit seiner kurdisch-assyrischen Bevölkerungsmehrheit ist man schon froh, wenn die Strom- und Wasserversorgung funktioniert. – Und wenn man dem Druck der Türkei, des Irak, der Assad-Regierung und den Resten des IS standhält. Mitte März geht der Syrienkrieg in sein neuntes Jahr.

Auf den zweiten Blick dagegen haben Kreuzberg und Derik doch einiges gemeinsam, und dank einer Berliner Bürgerinitiative gibt es jetzt zwischen beiden Kommunen sogar eine Stäftepartnerschaft. In Kreuzberg leben viele Türken, aber niemand weiß, wie viele von ihnen eigentlich Kurden sind. Günter Kleff, einer der Initiatoren der Partnerschaft, sagt der Deutschen Welle, man habe sich Derik ausgesucht, weil man eine Gruppe unterstützen wolle, die von Politikern und Medien oft vergessen werde. “Ganz stark geht es darum, der Stadt eine gewisse Solidarität zu zeigen. Das sind die Leute, die die Hauptlast des Kampfs gegen den IS getragen haben. Das geht hier total unter. Dass der IS besiegt ist haben wir den Leuten dort zu verdanken.”

Viele türkischstämmige Bewohner von Kreuzberg sind Kurden

700 Menschen, die im Kampf gegen den islamistischen Terror gefallen sind, liegen auf dem “Märtyrerfriedhof” von Derik begraben. Sich von diesem Verlust zu erholen, das ist nur eines der Probleme dieser ungewöhnlichen Stadt.

Eine multikulturelle, fortschrittliche Stadt

In mehrfacher Hinsicht widerspricht Derik den Klischees des Nahen Ostens, sagt Kleff. Es sei überraschend multikulturell, Muslime und Christen lebten hier Seite an Seite; der Stadtrat sei demokratisch gewählt; das Amt des Bürgermeisters teilten sich immer ein Mann und eine Frau, so sähen es die Statuten vor. “Derik ist für seinen Multikulturalismus bekannt”, sagt auch Sahed Osman Mohammed, Kovorsitzender des Stadtrats. “Kurden, Araber, Assyrer, Syrer, chaldäische Christen und Armenier leben hier zusammen. Sie alle sind im Stadtrat und der Stadtverwaltung vertreten.”

Im Oktober wurde das Städtepartnerschaftsabkommen in Derik unterzeichnet

Die Stadt wird von kurdischen Sicherheitskräften kontrolliert und genießt eine relative Eigenständigkeit, aber sie ist von gleich mehreren Seiten bedroht. Derik liegt nur fünf Kilometer von der türkischen Grenze und zehn Kilometer vom kurdischen Teil des Irak entfernt, der die Stadt am liebsten eingliedern würde; im Süden stehen die Soldaten des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. “Politisch sind sie total isoliert”, sagt Günter Kleff. “Die Türkei betrachtet sie als Terroristen, weil sie Kurden sind und gewisse Sympathien für die PKK haben. Und das Assad-Regime will sie natürlich auch weg haben. Assad will natürlich wieder die völlige Herrschaft.”

Kleff, der früher als Integrationshelfer der türkischstämmigen Zuwanderer in Berlin gearbeitet hat und heute Rentner ist, besuchte im Oktober Derik mit einer kleinen Delegation, um die Städtepartnerschaft zu unterzeichnen. Seine Beschreibung der politischen Lage stimmt mit Medienberichten überein. Im Dezember vergangenen Jahres hieß es zum Beispiel in der israelischen Zeitung “Haaretz”, die syrischen Kurden hätten “Todesangst”, zwischen Assad und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zerrieben zu werden, nachdem US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte, die amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen.

Im ersten gemeinsamen Projekt sollen Bäume in Derik gepflanzt werden

10.000 Euro für eine grünere Stadt

Kleff gibt zu, die Städtepartnerschaft zwischen Kreuzberg und Derik sei vor allem symbolisch zu verstehen. Er hofft jedoch, dass sie das Bewusstsein für die Sache der Kurden in Europa und anderen Teilen der Welt schärfen wird. Und er betont, es gehe bei seiner Initiative nicht, wie so oft, darum, dass reiche Europäer irgendwo einschweben und Hilfe austeilen, ohne den Empfängern Mitsprache zu geben.

Das erste Projekt in Derik, bei dem die Kreuzberger Gruppe einen finanziellen Beitrag geleistet hat, ist ein Umweltprojekt. Die Stadt leidet sehr darunter, dass die Türkei Wasser vom Euphrat abzweigt, Wasser, das Nordsyrien jetzt fehlt. Die Behörden und die Einwohner hatten konkret um diese Form der Hilfe gebeten. 10.000 Euro wurden für die Anpflanzung von Bäumen bereitgestellt. “Wenn es das Wetter zulässt, werden wir sie in diesem Frühjahr pflanzen”, sagt Stadtrat Sahed Osman Mohammed. Bei allen Kriegswirren und dem nackten Kampf ums Dasein sind die Stadtbewohner erstaunlich umweltbewusst, eine weitere Gemeinsamkeit mit dem traditionell grünen und linksalternativen Kreuzberg.

700 Einwohner von Derik starben im Kampf gegen den IS

Gegenbesuch im Mai oder Juni

Eine Delegation aus Derik hofft, spätestens im Frühsommer einen Gegenbesuch in Kreuzberg machen zu können. Aber sicher ist das noch keineswegs, glaubt Kleff. Die Syrer brauchen dafür Pässe, und sie haben es mit einer feindlich gesinnten Regierung in Damaskus zu tun. Außerdem müsste die Gruppe mit Schiff und Auto zum Flughafen in Erbil im kurdisch kontrollierten Nordirak fahren. Wenn der Besuch zustandekommt, wäre er ein weiterer Schritt, um die Isolation von Derik und des gesamten mehrheitlich kurdischen Nordsyrien zu beenden, eines Gebiets, das reich an Öl, doch arm an Möglichkeiten ist, seine Bodenschätze auszubeuten.

Günter Kleff sagt, er hoffe, dass die Menschen in Nordsyrien mehr Mitsprache bekommen würden, um ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Und er glaubt, dass Städte wie Derik als alternatives Vorbild für eine ganze Region dienen können, die seit acht langen Jahren in einem tödlichen Konflikt gefangen ist.

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