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Englisch bedroht Sprachenvielfalt in Nigeria

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In der nigerianischen Mittel- und Oberschicht liegt es im Trend, mit den Kindern Englisch zu sprechen. Linguisten und Literaten sorgen sich gerade im Süden um die indigenen Sprachen.

Die Studentin Titilope Keshinro spricht selbstverständlich Yoruba, wenn sie ihre Kommilitonen an der Universität von Ibadan im Südwesten Nigerias trifft. Die Sprache, die in der Regionen sowie im Nachbarland Benin von 40 Millionen Menschen gesprochen wird, begeistert sie so sehr, dass sie Linguistik und Yoruba studiert. Auch wenn die offizielle Sprache in Nigeria Englisch ist, sagt Keshinro: “Ich profitiere mehr, wenn ich Yoruba spreche.”

In Ibadan sind aktuell 50 Studierende im Bachelor- und Master-Programm für Yoruba eingeschrieben. Berufschancen gibt es durchaus: Absolventen arbeiten als Lehrer oder in Medienunternehmen. Richtig populär ist indigene Sprache jedoch nicht: In den vergangenen Jahren sind mehrere Artikel und nicht repräsentative Studien dazu erschienen – alle kommen zu dem Ergebnis, dass die Sprache an Sprechern, vor allem aber an Interesse und Bedeutung verliert.

Englisch als Hemmnis

Die am schnellsten wachsende Sprache im Süden Nigerias ist Pidgin-Englisch. In Ibadan beobachtet Professor Oye Taiwo, Leiter des Yoruba-Sprachzentrums, seit Jahren einen weiteren Trend: “Die Eliten meinen, je mehr sie mit ihren Kindern Englisch sprechen, desto besser verstehen diese Englisch.”

Diese drei Studierenden sind begeistert von ihrem Yoruba-Studium

Bei dem Linguisten sorgt das für Kopfschütteln. Mit Yoruba als Grundlage würden Kinder Englisch später viel schneller lernen. Professor Taiwo und seine Mitarbeiter machen deshalb viel Werbung für die Rückkehr zur indigenen Sprache. “Eine Zeitlang sind wir in private Kindergärten und Grundschulen gegangen, um mit den Lehrern zu sprechen. Ihre Einstellung hat sich gewandelt.” Letztendlich entschieden jedoch die Eltern darüber, welche Sprache zu Hause gesprochen wird.

Laut dem Ethnologue, einer jährliche Publikation über die Sprachen der Welt, werden in Nigeria 517 unterschiedliche Sprachen gesprochen. Neben Yoruba sind Haussa und Igbo die großen Verkehrssprachen. An der staatlichen Umaru Musa Yar’adua Universität in Katsina im Norden Nigerias wünscht sich Historiker Musa Ahmed Jibril, der die Fakultät für Geschichte leitet, dass nicht nur zu Hause indigenen Sprachen mehr Bedeutung beigemessen wird, sondern auch an den Hochschulen. Englisch – obwohl als Sprache der Elite angesehen – sei häufig ein Hemmnis. “Wenn wir unsere Forschungsarbeiten in unserer Muttersprache durchführen könnten, dann wären wir viel weiter.” Denn viele Studenten hätten Schwierigkeiten, sich auf Englisch auszudrücken: “Spricht man aber in ihrer Muttersprache mit ihnen, stellt man fest: Sie haben Potenzial.”

Identifikation durch Sprache

Hochschuldozenten haben in Nigeria jedoch kaum eine Stimme. Mehr Aufmerksamkeit hat im vergangenen Jahr Chimamanda Ngozi Adichie erhalten. Die weltbekannte Autorin von “Die Hälfte der Sonne” und “Americanah” betonte anlässlich der siebten Igbo-Jahreskonferenz, dass sie mit ihrer Tochter nur Igbo spricht. Englisch würde diese später lernen. “Manchmal sind die Leute geschockt, dass mein Kind Igbo spricht. Eltern, die Igbo sprechen, sagen, dass sie ihre Kinder nicht verwirren wollen. Und dann melden sie sie zum Französisch-Unterricht an.” Damit plädiert die Autorin auch für eine Gleichwertigkeit der Sprachen. Wichtig sei dabei der Gebrauch im Alltag.

Musa Ahmed Jibril erlebt, dass sich Studenten auf Englisch nicht gut ausdrücken können

Doch das ist manchmal kompliziert, etwa bei Chidi M. Ukwu, der in der Hauptstadt Abuja ein Medienunternehmen leitet. Sein Vater war Igbo; aufgewachsen ist er jedoch Lagos, das im Yoruba-Sprachgebiet liegt. Ukwu spricht Yoruba, aber kein Igbo. Die Frage nach seiner Muttersprache begleitet ihn sein Leben lang: “Vor vielen Jahren stellte mich eine Freundin einer ihrer Freundinnen vor. Sie sagte: Chidi spricht übrigens kein Igbo. Daraufhin antwortete ihre Freundin: Das tut mir leid. Diese Begegnung vergesse ich nicht. Warum bemitleidet mich jemand, den ich gar nicht kenne?”

Gerade in Nigeria, wo sich Viele stärker über ihre ethnische Zugehörigkeit als mit dem Staat identifizieren, würden Menschen stark über ihre Sprache wahrgenommen. “Das hat möglicherweise mehr negative als positive Assoziationen”, sagt Ukwu. Denn Sprachen sorgen einerseits zwar für ein Zugehörigkeitsgefühl. Andererseits kann man mit ihnen aber auch ausgrenzen, spalten und Stereotype schaffen.

In Nigeria erscheinen Tageszeitungen fast ausschließlich auf Englisch

Die Familie von Chidi Ukwu spricht heute Englisch miteinander. “Es ist die einzige Sprache, in der wir uns alle gut ausdrücken können.” Seine Kinder würde er jedoch ermuntern, so viele Sprachen wie möglich zu lernen. “Meine Tochter scheint Haussa sehr zu mögen. Sie macht den Akzent nach, versteht Wörter und Begrüßungen.”

Sprachen beim Spielen lernen

Der Taxiunternehmer Umar Aliyu stammt aus dem Bundesstaat Adamawa im Norden des Landes und lebt mit seiner Familie in der Hauptstadt Abuja. Auch seine drei Söhne sollen Haussa lernen – beim Spielen mit Freunden. Zu Hause, da ist er streng, wird nur Fulfulde gesprochen – die Muttersprache von Aliyu und seiner Ehefrau. “Das habe ich schon vor ihrer Geburt entschieden.” Warum er darauf besteht, fasst Umar Aliyu so zusammen: “Sprache bedeutet Identität. Verliert man seine Sprache, verliert man seine Identität.”


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    Autorin/Autor: Hilke Fischer


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