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Eurovision: “Schwule Olympiade” in Tel Aviv

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Tausende Touristen, aber weniger als erwartet, feiern das Pop-Festival “Eurovison Song Contest”. Palästinenser und Rabbiner kritisieren das Spektakel, das eine treue Fan-Gemeinde hat. Aus Tel Aviv Bernd Riegert.

Dabei sein ist alles. “Das ist so etwas wie die schwule Olympiade hier”, lacht eine der freiwilligen Helferinnen, die am Bahnhof Savidor Central in Tel Aviv Stadtpläne und ein dickes Programm mit all den Parties verteilt, die rund um den europäischen Gesangswettbewerb gefeiert werden. Die meisten ankommenden Fans aus ganz Europa seien homosexuelle Männer, meint die graumelierte Mittfünfzigerin, die selbst aus den USA stammt. Seit Jahrzehnten schon bietet der Eurovision Song Contest “Andersliebenden” die Möglichkeit, in schrillen Kostümen und einer überbordenden Bühnenschau homosexuelle Klischees zu zelebrieren.

Am Falafelstand in der Flanierstraße “Dizengoff” mit ihren schmucken weißen Bauhaus-Ensembles sagt ein deutsches Männerpaar: “Wir lieben es einfach.” Die beiden Mittdreißiger  verbringen ein paar Urlaubstage in Israel rund um den Eurovision Song Contest (ESC).  Zuhause veranstalten sie sonst jedes Jahr eine ESC-Sause vor dem Fernseher in Mannheim. 1998 brachte Israel so etwas wie einen Durchbruch für die Lesbische-Schwule-Bisexuelle-Transsexuelle Fangemeinde. Damals gewann die israelische Diva “Dana International”, eine Transsexuelle, den Wettbewerb. Dann kam 2014 die bärtige Drag Queen Conchita Wurst. Aber die ESC-Experten, und davon tummeln sich viele am Strand von Tel Aviv, behaupten, schon einer der frühen Sieger des Schlagerwettbewerbs für Luxemburg, Jean Claude Pascal, habe 1961 (allerdings nicht geoutet) über gleichgeschlechtliche Liebe gesungen.

Der schwule Bilal Hassani vertritt Frankreich: Zuhause wurde er homophob beleidigt und erstattete Anzeige

Nonstop City feiert fröhlich   

Die Stadt Tel Aviv ist auch ohne ESC ein beliebtes Reiseziel bei Homosexuellen. Israel ist tolerant. Die Stadt hat einen herrlichen Strand, viele Bars, und wenn man will, gibt es im Hinterland jede Menge Geschichte. Das Stadtmarketing verkauft das weltoffene Tel Aviv als “Nonstop City”. Werbung für den Eurovision Song Contest geht fröhlich Hand in Hand mit den Regenbogenfarben der LGBT-Gemeinschaft. “Für uns ist das eine enorme Chance, wir sind alle total aufgeregt”, sagt ein junger Israeli, der mit seinem Ehemann in Belgien lebt und extra für den ESC heimgeflogen ist.

Der Kolumnist Anshel Pfeffer schreibt in der Zeitung Haaretz, Eurovison sei für Israel ein Chance, sich mit Europa zu verbinden, da es mit seinen unmittelbaren arabischen Nachbarn so gut wie keine Kontakte gebe. Er fragt sich allerdings auch, was Israel denn eigentlich in dem Wettbewerb seit 1973 verloren habe. “Israel ist kein europäisches Land. Nicht durch Geografie, nicht durch Demografie, nicht durch Geschichte. Die meisten Israelis haben heute keine europäischen Vorfahren. Das trifft auf die Juden in Israel zu und auf die Israelis insgesamt sowieso.”

Menschenmassen im “Eurovision”-Dorf am Strand: Jede Nacht eine Party

“Hier hat keiner Angst”

Politik spielt in diesen Tagen bei 30 Grad Celsius am Strand fast keine Rolle. Hier erholen sich die Fans von den nächtlichen Parties. Manche haben an der Autobahn vom Flughafen das Plakat der pro-palästinensischen Aktivisten von “Breaking the silence” gesehen. Die ehemaligen Soldaten wollen darüber aufklären, dass Millionen von Palästinensern im Gaza-Streifen und im israelisch besetzten Westjordanland festsitzen. Die Gruppe “BDS”, die in Deutschland vom Bundestag wegen Antisemitismus heftig kritisiert wird, hat zum Boykott des ESC aufgerufen und kleinere Demonstrationen veranstaltet. Ohne Erfolg. Alle 41 Länder, die sich angemeldet haben, nehmen am Wettbewerb teil. 

Vor 14 Tagen eskalierte wieder einmal die Gewalt zwischen palästinensischen Islamisten und der israelischen Armee. Vier Israelis wurden durch Raketen aus dem Gaza-Streifen getötet. Mehr als 20 Palästinenser starben bei den Gegenschlägen der Armee. Jetzt herrscht Waffenstillstand. “Die Sicherheit ist gewährleistet. Hier hat keiner Angst”, sagt die ehrenamtliche ESC-Touristenführerin am Bahnhof Savidor und lächelt ein wenig gequält. “Das gehört hier doch irgendwie zum Alltag.” Die Polizei soll in Tel Aviv bis zu 10.000 Beamte im Einsatz haben, um die Massen zu lenken und eventuelle Anschläge zu verhindern. Die Kontrollen sind streng. In das Dorf der Fans am Strand darf man keine großen Kameras oder Rucksäcke mitbringen.

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Hohe Preise, wenig Politik 

Das schwule Paar aus Mannheim macht sich keine Sorgen. Vom Konflikt mit den Palästinensern hätten sie natürlich gehört, aber sie hätten schließlich Urlaub. “Enttäuschend sind eigentlich nur die hohen Preise”, beklagt sich der Israeli, der aus Belgien angereist ist. Die Eintrittskarten für das Finale kosten mehrere Hundert Euro. Ein Halbfinale hat er sich geleistet. Den Rest sieht er mit Tausenden anderen beim “public viewing” am Strand. Insgesamt kamen weniger zusätzliche Touristen als erwartet, meldet der israelische Hotelverband. Erwartet wurden in Tel Aviv 15.000 zusätzliche Gäste, gekommen sind wahrscheinlich nur 9.000.

“Luftballon Tel Aviv” und Gaza passen nicht zusammen

Boykott gefordert: Sängerin Netta und Premier Netanjahu verschwimmen auf dem Protest-Plakat der “BGS”

Über die Webseite der Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” werden die Fans des Glitter-Spektales kaum stolpern. Dort nimmt die Palästinenserin Albier Almasri das Motto des ESC “Wage einen Traum!” aufs Korn. Sie sei bis auf wenige Ausnahmen gefangen im Gaza-Streifen, weil Israel seit Jahren die Grenze zum von der Hamas beherrschten Gebiet abriegelt. Von einer Reise zum Song Contest könnten sie und Hunderttausende nur träumen. “Diese völlige Trennung der Welten passt irgendwie nicht zusammen”, sagte Matthias Schmale von den Vereinten Nationen der DW. Die Welt in Gaza, wo er als Direktor des palästinensischen Hilfswerks (UNWRA) arbeitet, “ist von Armut und Leid gekennzeichnet”. Gleichzeitig gebe es “den Luftballon Tel Aviv, in dem ein Fest gefeiert wird”. 

In der offiziellen israelischen Politik spielt der ESC keine große Rolle. In Jerusalem, wo es viel konservativer und ruhiger zugeht als im quirligen Tel Aviv, hat man andere Sorgen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versucht nach kürzlichem Wahlsieg, eine neue rechte Koalition zu schmieden. Von ihm wird vom möglichen Koalitionspartner ein härteres Vorgehen gegen die Angreifer im Gaza-Streifen verlangt.  

Beten gegen den ESC

Orthodoxe Juden ereifern sich seit jeher über das Treiben im sündigen Tel Aviv. Rabbi Gershon Edelstein rief in Jerusalem zu Gebeten auf, weil der Shabbat entweiht werde und die Präsenz der Juden im Heiligen Land in Gefahr sei. “Wir müssen um Gnade bitten”, schrieb der 91 Jahre alte religiöse Führer. Die Show, die weltweit 200 Millionen Menschen sehen werden, beginnt zwar erst nach Sonnenuntergang, aber die Proben laufen am Samstag auch tagsüber. Premier Netanjahu distanzierte sich vom ESC und versicherte dem Rabbiner, dass die Veranstaltung nicht von seiner Regierung kontrolliert werde.

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