Wirtschaft

Industrie wirft Regierung Stillstand vor – Merkel gelobt Besserung

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Der Industrieverband BDI wirft der Regierung eine zögerliche Wirtschaftspolitik wegen der Koalitionsstreitigkeiten vor. Merkel äußert Verständnis.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht auf dem Tag der Deutschen Industrie.

Peter Altmaier wirft seine Anzugjacke auf die Bühne, dann krempelt er die Hemdsärmel hoch. Er packt das jetzt an, soll das wohl heißen. So verkündet der Bundeswirtschaftsminister dann auch einen neuen Wachstumspakt für die Wirtschaft. Steigende Steuereinnahmen, schlägt er vor, sollten genutzt werden, um Innovationen zu fördern und Unternehmen zu entlasten. Die Regierung könnte dafür in den nächsten Jahren einen zweistelligen Milliardenbetrag bereitstellen. Noch ist das nur so eine Idee des CDU-Politikers. Er sagt: „Wir sollten den Mut haben, dies gemeinsam in der Koalition zu beschließen.“

Ein Mann dürfte bei Altmaiers Worten dennoch genau hinhören. Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI). Nicht nur hat er an diesem Dienstag zum „Tag der Deutschen Industrie“ in die Station Berlin geladen. Vielmehr hat er zum Auftakt die Bundesregierung auch noch scharf angegriffen. „Eine Regierung im permanenten Selbstgespräche-Modus, das bedeutet Stillstand“, so Kempf. Die Industrie warte „auf die Wirtschaftspolitik der Regierung, vor allem in der Steuer-, Digitalisierungs- und Energiepolitik“.

Handlungsdruck sieht Kempf vor allem, weil die Wirtschaft schon jetzt nicht mehr so stark wächst wie erwartet. Der BDI korrigierte an diesem Morgen seine Wachstumsprognose nach unten auf zwei Prozent – ein Viertel Prozentpunkte weniger als zuvor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verspricht daraufhin alles zu versuchen, „um zu Verbesserungen zu kommen“. Merkel hatte erst am Montag ungewöhnlich offen Fehler im koalitionsinternen Streit um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen eingeräumt. Sie habe sich bei der ursprünglich geplanten Beförderung Maaßens zum Staatssekretär „zu sehr mit der Funktionalität und den Abläufen im Innenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt“, sagte Merkel und drückte ihr Bedauern aus. Am Dienstag stellt sie beim BDI eine Absenkung der Unternehmenssteuern in Aussicht. Zumindest wolle sie das prüfen. „Wir können uns hier nicht einfach von der Welt abkoppeln“, sagt Merkel. Dabei ist die Steuerlast nur ein Problem der Industrie. Sechs Punkte, an denen es sonst noch hakt.


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Video25.09.2018, 12:56 Uhr00:24 Min.Merkel stellt britische Brexit-Strategie infrage

FACHKRÄFTEMANGEL

Der Industrie fehlen, wie anderen Wirtschaftsbereichen auch, qualifizierte Mitarbeiter. Die Mehrheit der Unternehmen, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befragt hat, halten den Fachkräftemangel sogar für ihr größtes Geschäftsrisiko. Vor acht Jahren sagten das nur 16 Prozent der Firmen. Auch die Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) alamieren: Demnach fehlen hierzulande 440 000 Fachkräfte. Wären sie vorhanden, könnte die Wirtschaftsleistung etwa 30 Milliarden Euro höher ausfallen.

Allein Deutschlands Maschinenbauer haben zuletzt mehr als 10 000 offene Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet – 50 Prozent mehr als noch im Vorjahr. In der Elektroindustrie wiederum fehlen laut dem Branchenverband ZVEI 50 000 Mitarbeiter, angefangen bei Ingenieuren, über Softwareentwickler bis hin zu Facharbeitern und Mitarbeitern in der Logistik. Und der IT-Branchenverband Bitkom stellt die Zahl von 55 000 unbesetzten Stellen für Computerspezialisten in den Raum. Dabei werden die dringend gebraucht, um auf Trends wie Elektromobilität, Smart Cities oder Industrie 4.0 zu setzen, wie die intelligente Vernetzung von Menschen, Maschinen und industriellen Prozessen genannt wird.

DIGITALISIERUNG

Auch bei der Digitalisierung ist der Aufholbedarf enorm: Nur sieben Prozent der deutschen Unternehmen sind „digitale Vorreiter“, wie der Wirtschaftsindex Digital des Bundeswirtschaftsministerium zeigt. Doch das Potential neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz kann die Industrie nur nutzen wenn auch die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist – und da hapert es gewaltig, wie auch Kempf kritisiert. Die Regierung verspreche den Breitbandausbau seit drei Legislaturperioden, das Ziel werde aber nicht erreicht: „Bis 2025 müssen Gigabit-Infrastrukturen im Fest- und Mobilfunknetz für alle Unternehmen, privaten Haushalte und entlang der Verkehrswege verfügbar sein“, forderte er. Das ist eine der zentralen Voraussetzungen, damit sich die Industrie 4.0 erfolgreich entwickeln kann. Sie ist nach Dampfmaschinen, Fließbändern und Computern der nächste revolutionäre Schritt.

Doch während Kempf die Regierung kritisiert, mahnt Merkel wiederum die Industrie, dass ihr Anteil an der Wertschöpfung nicht sinken dürfe. „Die Frage, ob wir geschlossene Wertschöpfungsketten erhalten – zum Beispiel in der Autoindustrie – treibt mich um“, sagt die Kanzlerin und bekräftigt ihre Forderung nach einer eigenen Batteriezellenproduktion in Deutschland. Sich die strategische Fähigkeit zu erhalten, auch Zellen produzieren zu können und nicht allein auf asiatische Hersteller angewiesen zu sein, sei „extrem wichtig“.

HANDELSSTREIT

Jeder vierte Job hängt in Deutschland am Export, in der Industrie ist es sogar jeder zweite. Entsprechend nervös macht der Handelsstreit die Unternehmer. Zwar haben die USA und Europa vereinbart, sich vorerst nicht weiter mit Strafzöllen zu überziehen. Allerdings gilt das nur, solange die Verhandlungen noch laufen – und ob dabei am Ende ein Ergebnis herauskommt, mit dem beide Seiten leben können, ist noch völlig offen.

Gleichzeitig spürt die Industrie schon jetzt die Folgen des Handelsstreits zwischen den USA und China. Deutsche Unternehmen produzieren zum Teil Waren, etwa Autos in China, um sie von dort in die USA zu verkaufen – und fallen damit unter die Strafzölle. Erst am Montag sind neue Abgaben sowohl der Amerikaner wie der Chinesen in Kraft getreten. Die USA haben Strafzölle auf Waren aus China im Wert von 200 Milliarden Dollar verhängt, die Volksrepublik reagierte mit Zöllen auf US-Produkte im Wert von 60 Milliarden Dollar. Dieser Handelskrieg zwischen den beiden Wirtschaftsmächten sei „Wahnsinn“, sagt Altmaier. Das führe dazu, „dass die Weltwirtschaft insgesamt leidet“. Der BDI geht bereits davon aus, dass der deutsche Export in diesem Jahr statt wie erwartet um fünf nur noch um 3,5 Prozent wachsen wird. WTO-Chef Azevedo appelliert daher an die Bundesregierung, sich lauter als bislang für faire und freie Handelsbedingungen in der Welt einzusetzen. Von den permanenten Angriffen Trumps auch auf die WTO lasse er sich hingegen nicht irritieren. „Nachts habe ich mein Smartphone nicht auf Empfang geschaltet.“

BREXIT

Noch immer ist unklar, was bei den Brexit-Verhandlungen herauskommt. Das sorgt für Unsicherheit bei den Unternehmen, die nicht wissen, wie sie künftig Geschäfte mit Großbritannien machen werden. Denkbar wäre etwa ein Freihandelsvertrag nach dem Vorbild der EU-Vereinbarung mit Kanada, bei dem sehr viele Zölle wegfallen würden. Das lehnt die britische Regierungschefin Theresa May aber ab. Zusätzlich vergrößert wird die Unsicherheit vor dem Brexit am 29. März 2019 durch Spekulationen über Neuwahlen in Großbritannien.

Die Bundesreigerung bei der Präsentation des unterschriebenen Koalitionsvertrags im März.

Zumal angesichts des gegenwärtigen Stillstandes bei den Verhandlungen auch ein ungeregelter Austritt Großbritanniens nicht auszuschließen ist. Bei einem solchen No-Deal-Brexit würde Großbritannien ab dem 30. März 2019 zum Drittstaat. Von den Zöllen, die dann schlagartig fällig würden, wären vor allem Industriezweige wie die Automobilbranche betroffen. Der Flugzeugbauer Airbus will bis Ende März so viele Flugzeugteile einlagern, dass zunächst ein möglicher Wegfall von Lieferungen aus Großbritannien überbrückt werden könnte.

ENERGIEWENDE

Einerseits stehen die deutschen Unternehmen zum Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Andererseits fürchten gerade aber die energieintensiven Industrien wie etwa Stahl- oder Aluminiumhütten kaum etwas so sehr wie höhere Strompreise. Und dass die Energiewende aufgrund des zentralen Bausteins Kohleausstieg höhere Strompreise mit sich bringen wird, daran zweifeln Fachleute unterschiedlicher Couleur nicht. Gleichzeitig schreitet aus Sicht der Industrie auch der Ausbau des Stromnetzes nicht schnell genug voran. Gut ausgebaute Leitungen sorgen aber dafür, dass Strom überall in Deutschland den gleichen Börsenpreis hat und nicht etwa im Norden, wo die Mehrheit der Windräder steht, billiger wird. Zudem pocht die Industrie auf die Erforschung von Speicherkapazitäten für sauberen Strom und fordert auch Unterstützung für andere neue Industrieprozesse, die CO2 einsparen.

BANKENSEKTOR

Unternehmen und Banken haben sich in Deutschland in den letzten Jahren auseinander entwickelt. Während die Firmen von der guten Konjunktur profitieren, kämpfen die Geldinstitute noch immer mit den Folgen der Finanzkrise, den niedrigen Zinsen und der zunehmenden Regulierung. Für die Industrie ist das ein Problem. Unternehmen sind darauf angewiesen, dass Banken ihre Auslandsgeschäfte absichern, sie bei einem Börsengang oder der Ausgabe von Anleihen begleiten. „Natürlich braucht die deutsche Industrie ein starkes deutsches Bankinstitut“, sagt Kempf.

So oder so ähnlich haben das in den vergangenen Wochen auch Politiker immer wieder betont. Volker Kauder von der Union etwa kritisiert, Deutschland fehle ein „Global Player“ unter den Banken. Deshalb wird immer wieder über eine Fusion von Commerzbank und Deutscher Bank diskutiert. Die will auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing nicht mehr ausschließen. Vor Vertretern der Industrie sagte er, dass es auf längere Sicht zu einem Zusammengehen seines Hauses mit der Commerzbank kommen könnte. Zunächst müsse die Deutsche Bank aber ihre eigenen Hausaufgaben machen.

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