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Johannesburg: Kreativ gegen die Gentrifizierung

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In Johannesburgs Bezuidenhout Valley ist die Gentrifizierung in vollem Gange. Ein junger Stadtplaner will mit einem inklusiven Eigentumskonzept dafür sorgen, dass die lokalen Bewohner nicht verdrängt werden.

Die Victoria Street in Bezuidenhout Valley: ein Stadtviertel im Wandel

Sindisiwe Masekus neuer Wohnraum ist nicht groß, zehn Quadratmeter vielleicht. Doch es reicht für ihr Bett, eine Kindermatratze, einen Stuhl und einen kleinen Fernseher. Auf dem ordentlich gemachten Bett sitzen ein Teddybär und ein Plüschtier. Doch Platz ist nicht die Priorität der 23-Jährigen. Das Wichtigste für sie: Es ist sicher. In ihrer vorherigen Wohnung, nur zwei Straßen weiter, sei das anders gewesen, berichtet Maseku: “Es gab keine Toilette, die Leute pinkelten überall hin. Ständig gab es Einbrüche – diese Leute können einen umbringen”. Ihr zwölfmonatiges Baby rutscht und quietscht auf ihrem Schoß herum, sie führt es zum Stillen an ihre Brust. Am Ende sei es so schlimm gewesen, dass sie sogar überlegte, zurück in ihre Heimatprovinz Mpumalanga im Osten des Landes zu gehen.

Dann traf sie Simon Sizwe Mayson, einen 30-jährigen Stadtplaner. Er suchte eine Putzfrau für seinen Co-Working Space nebenan und war gerade dabei, ein neues Wohnmodell für die Nachbarschaft zu entwickeln, die in weiten Teilen von Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität geprägt ist. “Er kam genau zur richtigen Zeit”, sagt Sindisiwe.

Ein Stadtteil im Aufwind?

Es sind Sommerferien in Südafrika. Die Victoria Street, in dem Maysons Hausprojekt liegt, ist voller Kinder. Die Straßen, oft mit zerbrochenen Flaschen übersät, sind ihr Spielplatz. Viele andere Orte gibt es nicht um die Nachmittage zu verbringen. Das Bezuidenhout Valley schmiegt sich im Osten an die Johannesburger Innenstadt an und entzieht sich ihr schmal und flach in Richtung Westen.

Sindisiwe Maseku – die alleinerziehende Mutter gehört zu den Bewohnern der “Changemakers Residence”

Lange galt die Gegend im Osten Johannesburgs als vernachlässigt. Doch inzwischen  zieht der Stadtteil im Osten von Johannesburg öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, da in seinem Herzen eine südafrikanischen Restaurantkette das Entwicklungsprojekt Victoria Yards vorantreibt. Wo bis vor einiger Zeit noch verlassene Lagerhäuser und Industriebauten das Straßenbild prägten, entstanden innerhalb kürzester Zeit Ateliers, Galerien, eine Kaffeerösterei und kleine Handwerksbetriebe. Und es ist der Ort, von dem aus Simon Mayson den Prototypen seines innovativen, inklusiven Wohnprojekts “Changemakers Residence” entwickelt hat.

Mayson ist ein junger Stadtplaner aus Kapstadt, der mit seiner Arbeit sozialen Wandel bringen will. Als er vor einem Jahr von Victoria Yards hörte, sicherte er sich eines der ersten Studios, das er “VY Commons” nannte. Als Co-Working Space soll das Studio Künstlern und Machern aus der Gegend einen Raum für ihre Arbeit bieten. 

Präventiv gegen Gentrifizierung

Dort sitzt der grauhaarige 30-Jährige und heftet Infoblätter für ein Kinderferienprogramm zusammen. Als weißer Südafrikaner weiß er um seine Privilegien, die dem Großteil der Bevölkerung vorenthalten sind. “Im vergangenen Jahr realisierte ich auf einem Meditationswochenende, dass es mir gut geht, so wie es ist: alle meine Grundbedürfnisse sind abgedeckt. Jetzt kann ich mich darum kümmern, dass es anderen auch so geht.”

Dass alles so zusammenkam, “war eine Mischung aus harter Arbeit und Glück”. Er fand ein Haus in der gleichen Straße, das er von seinem Ersparten und einem Darlehen seiner Eltern für umgerechnet 46.000 Euro kaufte, um an ihm seine Ideen zu testen. Eines der Ziele des Wohnprojekts ist, eine Alternative zu bieten, sollte sich die Entwicklung des Stadtteils negativ auf die unterprivilegierten Bewohner des Viertels auswirken. Orte wie Victoria Yards seien “wundervoll, da sie Menschen anlocken, die sonst nicht kommen würden.” Doch, so die Befürchtung,  könnten mit den Neuankömmlingen auch die Immobilienpreise ansteigen und so die lokale Bevölkerung  nach und nach verdrängt werden.

Innovatives Eigentumskonzept

Seine Idee: Mieten um zu kaufen. Bewohner, die sich kein Darlehen leisten könnten, zahlen eine den Wohnpreisen der Gegend angepasste Miete (zwischen 100 und 200 Euro im Monat), und erwerben gleichzeitig Anteile am Haus. Nach rund zehn Jahren sind sie Miteigentümer. Die Voraussetzung: Die Hausbewohner sollen “auf ein übergeordnetes Wohl hinarbeiten, anstatt nur auf sich selbst schauen”, “Changemaker” sein.

Der Stadtplaner und Aktivist Simon Mayson will der Gentrifizierung mit einem innovativen Wohnkonzept begegnen

Ob seine Pläne aufgehen, weiß Mayson noch nicht, deshalb vermarktet er das Konzept auch noch nicht aktiv nach außen. Erst in einem halben Jahr könne man sehen, ob und wie alles funktioniert. “Es ist etwas, was es sonst nirgends gibt”, sagt er. 45 Menschen bewarben sich auf die Wohnungen, die Auswahl wurde am Ende durch mehrere Workshops getroffen.

Im Dezember begann der Einzug. Das Haus hat zwei Hälften, die durch eine große Veranda am Eingang verbunden sind. Drei Räume links, drei Räume rechts und zwei Hütten im Hinterhof. Außer Sindisiwe Maseku und ihrem Kind gehören ein Gärtner, eine Sozialarbeiterin, ein Imker, ein Künstler und ein Anwalt zu den Auserwählten.

Jared Ishmael, der Anwalt, hat sich noch nicht entschieden, ob er wirklich einziehen will. Der 27-Jährige ist der einzige, der in unmittelbarer Nachbarschaft aufgewachsen ist, in Bertrams. Er ist besorgt, “dass das gleiche passiert wie in Maboneng, wo die Gemeinschaft für exklusive Geschäfte und Restaurants weggedrängt wurde.” Auch das heute hippe Viertel wenige Kilometer entfernt war unterprivilegiert, als es von einer Immobilienfirma aufgekauft und transformiert wurde. Die einstigen Bewohner wurden verdrängt.

Jared Ishmael will verhindern, dass in Bezuidenhout Valley alteingesessene Bewohner verdrängt werden

Ein universales Modell gegen Gentrifizierung?

Hinzu kommen Bedenken bezüglich der Art des Anteilseigentums. “Woran nehmen wir Anteil? Am Haus, oder am Fonds? Es muss sichergestellt sein, dass alle verstehen, was das bedeutet, damit sie diese Macht für sich nutzen können.” Nur so könne ein auf Gleichheit basierendes Wohnsystem entstehen.

Das Potenzial, dass Maysons Idee aufgeht, sieht Ishmael jedoch. “Wenn die Gemeinschaft mit einbezogen wird, bin ich voll dabei.” Dann könnte das Projekt sogar ein universales Modell für Gentrifizierungsviertel werden. Bis jetzt möchte er als Anwalt Hilfe von außen anbieten. Als “Puffer” zwischen den Auslösern der Gentrifizierung und den Menschen, mit denen er aufgewachsen ist.

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