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“Mit Gasmaske und kugelsicherer Weste”

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Wie arbeitet ein venezolanischer Journalist heute in einem derart polarisierten Land? Emilio Materán, Generaldirektor der Zeitung “La Voz” in Caracas, im DW-Interview.

Deutsche Welle: Señor Materán, wie sieht der Arbeitsalltag eines Journalisten in Venezuela derzeit aus?

Emilio Materán: Das fängt damit an, dass man als Journalist mit Gasmaske und kugelsicherer Weste von Demonstrationen berichtet und reicht bis hin zu Einschüchterungen. Mir hat einmal ein hoher Regierungsbeamter gedroht, dass er mich dazu zwingen werde, meine Zeitung zu verkaufen. Und diese Drohungen gehen nicht spurlos an einem vorüber. Das beschäftigt dann die ganze Familie. Es ist einfach sehr schwierig. Nicht nur wegen der Risiken, die wir eingehen, sondern auch weil Venezuela politisch völlig polarisiert ist. Die Politik hat dem Journalismus sehr viel Schaden zugefügt. Viele Journalisten hier haben sich mit der Politik gemein gemacht, einige Journalisten halten zur Opposition, andere halten es mit der Regierung. Für die Journalisten, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, ist es jedoch viel schwieriger, weil ihre Arbeit erschwert wird. Sie kommen an die staatlichen Stellen nicht ran, weil ihnen der Zugang verwehrt wird. Oft ist ihnen auch die Teilnahme an Pressekonferenzen der Regierung verboten.

Auch von Demonstrationen, wie hier in Caracas, zu berichten wird für kritische Journalisten immer schwieriger

Es ist also sehr schwierig, einen Gesprächspartner von der Regierung zu bekommen, und gleichzeitig beschwert sich diese dann, dass man als Journalist nicht über eine bestimmte Demonstration oder Pressekonferenz berichtet hat. Für Journalisten, die der Regierung nahestehen, ist es dagegen viel einfacher. Was bei ihnen auffällt, ist, dass sie nicht etwa Fragen stellen, sondern ganz offen ihre Meinung vertreten. Sie können das täglich sehr gut auf “Kanal 8” beobachten, der eigentlich ein Staatssender sein soll, aber in Wirklichkeit ein Regierungssender ist. Dieser Kanal dient leider nur noch der politischen Propaganda.

Findet bei den Journalisten in Venezuela eine Selbstzensur statt?

Natürlich, Tag für Tag. Seit Jahren werden hier Fernseh- und Radiosender geschlossen, mit dem Argument, dass die Konzession abgelaufen sei. Unter den Präsidenten Hugo Chávez und Nicolàs Maduro sind über 200 Radiosender geschlossen worden. Über 100 Zeitungen mussten im gleichen Zeitraum schließen, weil ihnen der Kauf von Papier erschwert wurde. Und da sind natürlich noch nicht die unzähligen Journalisten mitgezählt, die ihren Job verloren haben: Weil ihr Arbeitgeber einen Anruf erhalten hat, dass sein Medium sofort die Konzession verliert, wenn jener Journalist nicht sofort gefeuert wird.

Oppositionsführer Guaidó Venezolaner selten live im Fernsehen gezeigt

Der aktuellste Fall ist der von César Miguel Rondón, der ein sehr unbequemer Journalist für die Regierung war, weil er sehr kritische Fragen gestellt hat. Und aus all diesen Gründen zensieren sich die Journalisten in Venezuela heutzutage selbst, um keine Probleme zu bekommen. Wenn es also zum Beispiel Demonstrationen der Opposition gibt, werden sie dort kaum Journalisten finden. Über einen Marsch der Anhänger von Juan Guaidó sehen sie vielleicht mit Glück am Abend in den Nachrichten etwas, aber nie live, wenn der Marsch gerade stattfindet. Auch die Fernsehsehsender mit den höchsten Einschaltquoten, wie Venevisión, Televen oder Globovisión, halten sich sehr zurück. Und auch bei den Radiosendern hier gehört die Selbstzensur zum journalistischen Alltag.

In Lateinamerikas Medien werden oft Information und Meinung vermischt. Ist das in Venezuela zurzeit auch so?

Auf jeden Fall. Bei den Maduro-freundlichen Medien ohne Ausnahme, aber auch bei den Maduro-kritischen Medien gibt es sehr viele Journalisten, die das machen. Statt zu informieren nehmen die Journalisten ganz klar eine Position ein, und das nicht etwa in den Meinungsprogrammen, wo es hingehört. In den Nachrichtensendungen wird jeder Beitrag mit der eigenen Meinung des Journalisten eingefärbt. Ja, es gibt hier in Venezuela einen ganz klaren Hang dazu, Information und Meinung zu vermischen.

Emilio Materán in der La-Voz-Redaktion in Caracas

Gibt es unparteiische und unabhängige Journalisten oder merkt man sofort, dass es Befürworter oder Gegner von Nicolás Maduro sind?

Das merkt man in der Tat sofort, wer für und wer gegen den Präsidenten ist. Dabei gibt es durchaus viele Journalisten, und zu denen würde ich mich auch zählen, die versuchen, in diesem radikalisierten Land objektiv zu berichten. Ich habe neben meiner Tätigkeit als Generaldirektor der Zeitung “La Voz” zum Beispiel ein wöchentliches Meinungsprogramm im Radio. Dort lade ich die eine Woche jemanden von der Regierung ein, die Woche drauf eine Person von der Opposition, das heißt, wir versuchen, unabhängig zu sein. Trotzdem glaube ich, dass es in diesem Moment in Venezuela unmöglich ist, völlig unparteiisch zu sein. Es gibt zu viele Fragen, die sich um das Scheitern der Regierung drehen. Jüngstes Beispiel: der Stromausfall, als wir vier Tage ohne Elektrizität waren, etwas völlig Unvorstellbares.

Ist die Stimmung zwischen den Journalisten der verschiedenen Lager ähnlich vergiftet, wie das in der venezolanischen Gesellschaft der Fall ist?

Es gibt sicherlich keinen Hass, aber andererseits auch keinerlei Austausch. Und dass, obwohl viele Journalisten früher in demselben Medium gearbeitet haben, sich nun jedoch gegenüberstehen. Hass würde ich es auf jeden Fall nicht nennen, aber es gibt große Differenzen.

Welche Lektion kann der Journalismus aus der Krise in Venezuela lernen?

Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass die Polarisierung des Landes dem Journalismus enorm geschadet hat. Der Journalismus muss auf der Seite der Menschen und ihrer Bedürfnisse stehen und darf nicht zu einem Werkzeug der Manipulation werden. Und damit meine ich hier beide Seiten, also sowohl regierungsfreundliche als auch -kritische Journalisten. Die Opposition hier hat auch sehr viele Fehler gemacht und manche Medien berichten einfach nicht darüber. Ich glaube, der venezolanische Journalismus muss aus der Aktualität lernen.

Ein Vordruck der regierungskritischen Zeitung “El Nacional”, die Ende vergangenen Jahres ankündigte, ihren Betrieb einzustellen

In der Nachrichtenberichterstattung müssen wir Journalisten die Verdienste als auch die Fehler der Regierung und der Opposition deutlich benennen. Und die Zuschauer, Hörer oder User müssen sich dann ihre eigene Meinung bilden. Aber weil hier viele Reporter und Redakteure die Positionen der Politiker einfach übernehmen, hat der Journalismus in Venezuela sehr gelitten.

Viele Medienwissenschaftler haben uns gesagt, dass die Fernsehsender von Mexiko bis Argentinien den Machtkampf zwischen Guaidó und Maduro wie eine Telenovela inszenieren. Hier der schöne Prinz Guaidó, dort der böse Onkel Maduro. Würden Sie dem zustimmen?

Ich würde das nicht verallgemeinern. Im lateinamerikanischen Fernsehen hängt es auch davon ab, welchen Kanal Sie sehen. Wenn Sie zum Beispiel “Telesur” einschalten, sehen Sie das komplette Gegenteil. Dort ist Guaidó der Thronräuber, der einen Staatstreich vorbereitet, und Maduro ist das Opfer von US-Präsident Donald Trump. Schalten Sie andere Sender ein, heißt es dagegen, Guaidó versuche, Venezuela durch Vernunft voranzubringen, während sich Maduro verzweifelt an der Macht festklammere. Das heißt, das Medium gibt die Linie vor, wie über den Machtkampf in Venezuela berichtet wird.

Was würde mit den Maduro-freundlichen Journalisten passieren, wenn Juan Guaidó an die Macht kommen würde?

Das ist eine sehr interessante Frage, weil wir nicht wissen, wie die Medienpolitik von Guaidó aussehen würde. Aber jeder aus der Opposition müsste aus eigener Erfahrung ganz genau wissen, in welcher Situation sich die Medien in Venezuela heutzutage befinden. Dann kann man natürlich nicht das Gleiche machen, also alle Maduro-freundlichen Journalisten der staatlichen Medien rauswerfen und durch Guaidó-freundliche Journalisten ersetzen. Guaidó, oder wer auch immer der künftige Präsident von Venezuela sein wird, muss verstehen, welchen Schaden die staatlichen Medien genommen haben, welchen Schaden der Journalismus per se genommen hat. Wir müssen wieder zur Meinungsvielfalt und zur Ausgewogenheit zurückkehren. In jedem einzelnen Medium, weil das auch ihr Überleben sichert.

Der Venezolaner Emilio Materán arbeitet seit 30 Jahren als Journalist. Er ist Generaldirektor der Zeitung “La Voz” in Caracas, die von seinem Vater gegründet wurde.

Das Gespräch führte Oliver Pieper.

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