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Nordkoreas Privatsektor von Korruption unterwandert

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Etwas überraschend steht der Privatsektor im Fokus eines aktuellen Berichts des UN-Menschenrechtsrats zu Nordkorea. Dahinter könnten enttäuschte Hoffnungen des Westens auf Wirtschaftsreformen in dem Land stecken.

Der UN-Report mit dem Titel “The Price Is Rights” stützt sich auf Interviews mit über 214 nordkoreanischen Flüchtlingen, die in den Jahren 2017 und 2018 geführt worden sind. Darin wird ein düsteres Bild vom Alltag der Bevölkerung gezeichnet: Nordkoreaner, die sich an den Privatmärkten des Landes beteiligen, würden regelmäßig Opfer staatlicher Willkür und korrupter Behörden – weil sich die Privatwirtschaft in einem rechtlichen Graubereich befindet – obwohl der Sektor geschätzt bis zu 50 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt. Inwieweit Händler geduldet werden, hänge allein von der Willkür der jeweiligen Regierungsbeamten ab.

Die vielen Einwohner, deren Lebensgrundlage von halblegalen Handelsaktivitäten abhängt, können jederzeit von den Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Nur diejenigen, die in der Lage sind, Schmiergelder zu zahlen, können sich von den Strafen freikaufen. Zudem würde systematische Misswirtschaft des Regimes dazu führen, dass breite Bevölkerungsschichten keinen zuträglichen Lebensstandard erreichen können.

Nordkorea habe es versäumt, “einen funktionierenden rechtsstaatlichen Privatsektor zu etablieren, um das wirtschaftliche Elend eines Großteils der Bevölkerung zu mildern”, heißt es in dem Bericht. Darin wird auch ein Flüchtling mit dem Worten zitiert: “Wenn man einfach nur den Anweisungen des Staats befolgt, dann verhungert man”.

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Folgen der Hungerjahre

Um das Wirtschaftssystem unter der Kim-Dynastie im Jahr 2019 zu verstehen, muss man einen Blick zurück auf die 90er Jahre werfen: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem mit Abstand wichtigsten Öllieferanten und Handelspartner, kollabierte die nordkoreanische Wirtschaft völlig. Hinzu kam eine Serie langer Dürreperioden, gefolgt von Hochwasserkatastrophen. Missernten führten zu schwerwiegenden Hungersnöten, an dessen Folgen laut konservativen Schätzungen mehrere hunderttausend Nordkoreaner starben. Die Essensrationen, die der Staat jahrzehntelang an seine Bevölkerung austeilte, erreichten nur mehr eine kleine Elite.

Aus der Katastrophe erwuchs letztlich ein positiver Wandel: Denn quasi über Nacht konnte die zuvor stalinistisch geführte Volkswirtschaft nicht mehr für ihre Bewohner sorgen. Diese mussten stattdessen ihr Überleben in die eigene Hand nehmen. Es waren dies die Anfänge der Schwarzmärkte im Land, die sich trotz der Repressionen des Regimes bald über alle Provinzen ausbreiteten. Nordkoreanische Händler fingen an, Güter über die Grenze zu China zu schmuggeln, sie verkauften auf eigene Faust Lebensmittel und Alltagswaren in informellen Märkten in ihren Heimatstädten.

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Besonders rücksichtsloser Kapitalismus

“In Nordkorea herrscht derzeit eine besonders rücksichtslose Form des Kapitalismus, ein bisschen wie zur Zeit der industriellen Revolution in England: Man kann einerseits selbst mit bescheidenen Verhältnissen ein Vermögen machen, wenn man hart arbeitet, rücksichtslos ist, gerissen, zu manipulieren versteht”, sagt Andrei Lankov von der Kookmin Universität in Seoul: “Gleichzeitig kann man aber auch zu Tode hungern”.

Lankov, der als junger Student aus der Sowjetunion ein Semester an der Kim Il Sung-Universität in Pjöngjang absolviert hatte, beobachtet seit Jahren den Aufstieg einer neuen Händlerkaste: Gerade jene Nordkoreaner aus politisch unliebsamen Familien, denen bis dato sämtliche Privilegien verwehrt blieben, seien nun aufgrund ihres erwirtschafteten Wohlstandes zur Elite aufgestiegen. Jene “Donju” – koreanisch für “Fürsten des Geldes” – sind dabei jedoch keineswegs Oppositionelle: Sie gehen vielmehr eine pragmatische Zweckbeziehung mit der alten, politischen Elite ein. Revolution sei eben schlecht fürs Geschäft, sagt Nordkorea-Experte Lankov.

Wer kann, sucht sich Verdienstmöglichkeiten abseits solcher staatlicher Projekte

Privater Verdienst ist möglich – gegen Bestechung

Sokeel Park arbeitet mit der NGO “Liberty in North Korea” seit Jahren mit nordkoreanischen Flüchtlingen zusammen: Er hilft ihnen sowohl bei der Fluchtroute als auch bei ihrer Integration in ihrer Wahlheimat Südkorea. Er bestätigt die Erkenntnisse des UN-Berichts: “Nordkoreanische Flüchtlinge berichten mir durchweg, dass man in Nordkorea gegen die Gesetze verstoßen müsse, um zu überleben. Und sie sagen auch, dass man mit Geld in Nordkorea alles regeln kann”. So bestechen laut Park viele Nordkoreaner ihre Vorgesetzten, um nicht zur staatlichen Arbeit erscheinen zu müssen und stattdessen weitaus lukrativeren Marktaktivitäten nachzugehen.

“In bestimmter Weise ruft der UN-Bericht Pjöngjang dazu auf, bei der Legalisierung der Marktaktivitäten im Land zu kooperieren”, sagt Andray Abrahamian, Korea-Forscher des Griffith Asia Institute der Stanford Universität. Laut Abrahamian hat das nordkoreanische Regime seine wirtschaftlichen Reformexperimente gegen Ende 2015 heruntergefahren, als sich der Nuklearkonflikt mit den USA zunehmend verschärfte. Das Land wolle zunächst seine geopolitische Situation stabilisieren, bevor es mit Wirtschaftsreformen fortfährt, sagt Abrahamian.

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UN-Bericht einseitig?

Doch der UN-Bericht wird von Experten auch kritisiert: Martin Weiser, unabhängiger Nordkorea-Forscher in Deutschland, weist auf mehrere Schwachstellen der Studie hin: Etwa, dass sich die UN ausschließlich auf die Aussagen von nordkoreanischen Flüchtlingen konzentriert und diese unkommentiert übernommen habe.

Weiser verweist gegenüber der DW auf einen Leitfaden des nordkoreanischen Ministeriums für Volkssicherheit aus dem Jahr 2009: Darin heißt es, dass keinesfalls sämtliche Marktaktivitäten der Bevölkerung verfolgt werden sollten, sondern nur diejenigen, die zu “übermäßigen Gewinnen” führen. Eine differenzierte Sichtweise, die der UN-Bericht streckenweise vermissen lässt. Tatsächlich hat der deutsche Nordkorea-Experte den Gesetzestext bereits vor zwei Jahren an die Vertretung des UN-Menschenrechtsrats in Seoul weitergeleitet, ohne jedoch eine Reaktion zu erhalten.

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