Wirtschaft

Vernetzt – und doch allein

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Einsamkeit ist ein Problem, das es jetzt auf die Agenda der Bundespolitik geschafft hat. Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?

Auch Jüngere fühlen sich einsam. Sie ziehen zum Beispiel zu Hause aus, beginnen irgendwo eine Ausbildung oder ein Studium.

Auch wenn die Familie nicht mehr im gleichen Haus lebt, weiß sie, was jeder macht. Steht doch in der Whats-App-Gruppe. Die alte Schulfreundin findet man plötzlich bei Instagram wieder, die große Liebe vielleicht bei Tinder. Noch nie waren die Menschen über soziale Netzwerke und Apps so miteinander verbunden wie heute. Nie schien es leichter, sich auszutauschen, egal von wo. Trotzdem fühlen sich Millionen Deutsche einsam.

Eine Vermutung lautet: Ist doch klar in einer Gesellschaft, die auf den Einzelnen setzt. Viele leben alleine, ziehen alleine Kinder groß. Wenn sie überhaupt welche bekommen. Die unzähligen Möglichkeiten locken in fremde Städte, weit weg von der Heimat mit vertrauten Gesichtern. Wer sich fest bindet, löst die Ehe in jedem dritten Fall wieder auf. Menschen werden älter. Und durch die Digitalisierung schwindet auch noch der direkte Kontakt. Supermärkte lassen Käufer ihre Waren selbst einscannen. In den ersten Restaurants bestellt der Kunde an Computern im Eingangsbereich.


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Einsamkeit: Inzwischen spricht die Bundespolitik über das Thema. „Angesichts einer zunehmend individualisierten, mobilen und digitalen Gesellschaft werden wir Strategien und Konzepte entwickeln, die Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen“, heißt es auf Seite 118 im Koalitionsvertrag. Die FDP hat vor kurzem nachgehakt und eine kleine Anfrage zu dem Thema gestellt. Die Antworten zeigen aus ihrer Sicht: Ein wirklicher Plan fehlt! „Wir sollten nicht so naiv sein zu glauben, dass radikale Umwälzungen wie die Digitalisierung sich nicht auf der psychosozialen Ebene auswirken“, sagte der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann.

Aber ist das wirklich so?

Allein bei der Frage, ob die Menschen einsamer werden oder nicht, kommen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen. Von der Regierung hieß es: Immer mehr Menschen in Deutschland empfinden so. Glaubt man einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, stimmt das nicht. Danach ist der Anteil derer, die sich sehr oft oder oft einsam fühlen, zwischen 2013 und 2017 kleiner geworden. 2013 stimmten 10,5 Prozent zu, vier Jahre später 9,5 Prozent. Ein Viertel fühle sich schlechter als vor einigen Jahren, fast ein Drittel besser und der Rest sehe überhaupt keine Veränderung. Die Autoren meinen: Von einer Epidemie, die manch einer beschreibt, könne keine Rede sein.

Viele Studien, viel Panikmache

Wie sich jemand fühlt, ist subjektiv und schwer zu messen. Man kann mit sich alleine zufrieden sein – ohne sich selbst einsam zu nennen. Andersherum gibt es Menschen, die fühlen sich inmitten von vielen anderen sozial isoliert. Nur ein paar Freunde bei Facebook sagen wenig aus. Tausend auch.

Außerdem gibt es kaum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Einsamkeit erforschen. Eine, die das tut, ist Maike Luhmann, Psychologin an der Ruhr-Uni Bochum. Welche Rolle die Digitalisierung spielt? „Es gibt viele steile Thesen dazu, viel Panikmache, aber wirklich wissen tun wir wenig“, sagt sie am Telefon. „Manche Studien sehen einen Zusammenhang, andere nicht.“

Brian Primack von der Universität Pittsburgh hat zum Beispiel den Einfluss der Online-Nutzung auf das psychische Wohlbefinden von 1800 Probanden im Alter von 19 bis 32 Jahren untersucht. Sein Resultat: User, die täglich mehr als zwei Stunden online waren, litten mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit unter Einsamkeit als jene, die das Internet weniger als 30 Minuten nutzten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam vor einigen Jahren eine umfangreiche Studie mit dem Titel: „Macht Facebook dich einsam?“. Die Arbeit fasste viele kleinere Untersuchungen zusammen. Auch da hieß es: Jemand, der viel Zeit bei Facebook verbringt, ist einsamer. Das Social Web verursache die negativen Gefühle aber nicht. Es wirke eher wie ein Verstärker. Wer sich schon alleine fühlt, fühlt sich dort noch schlechter. Eine andere Argumentation lautet, dass es andersherum ist: Jemand hat wenig Kontakt zu anderen – und starrt deswegen viel auf den Bildschirm.

Ein Like ist noch kein Lächeln

Bei einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research nannten die meisten Deutschen zwar „aktuelle Lebensumstände“ als Hauptursache für das Alleinsein: Ein fordernder Job oder Umzug, eine Erkrankung oder Trennung. Jeder Vierte gab allerdings an, die unpersönliche Kommunikation über das Smartphone sei der Grund. „Wenn jemand soziale Netzwerke nutzt, um seine realen Beziehungen zu Freunden, zur Familie, aufrecht zu erhalten, ist das gut“, glaubt Luhmann. „Wird aber nur online kommuniziert statt sich zu treffen, kann es kritisch werden. Das allein befriedigt nicht unser tiefes Grundbedürfnis nach echter Nähe.“

Diese Meinung teilen auch andere Experten: Der Psychiater Gregor Hasler von der Universität Bern meint, soziale Netzwerke täuschten bloß eine Nähe vor, die gar nicht existiert. In einem viel gelesenen Tagesspiegel-Interview kritisierte die Soziologin Eva Illouz vor kurzem, die Menschen würden allein vor ihren digitalen Geräten sitzen und die Likes auf ihren Profilen zählen. Ein Like ist aber kein Lächeln, keine herzliche Umarmung. Sie sagte außerdem: „Die Unverbindlichkeit in den sozialen Medien steht Bindungen im Weg – ich nenne es „negative Beziehungen, die dadurch befördert werden.“ Nach dem Motto: Ich bin verabredet? Ach, kann ich doch einfach absagen.

Aus der Sozialpsychologie ist bekannt, dass soziale Vergleiche dem Menschen nicht guttun. Plattformen wie Instagram, wo das Leben der anderen immer viel perfekter aussieht, bergen da durchaus Risiken. Durch die Anzahl der Aufrufe, Likes und Kommentare ist Anerkennung in solchen Netzwerken auch noch ganz genau bezifferbar. Für jeden zu sehen. Trotz allem sieht Maike Luhmann durchaus Chancen durch die Digitalisierung.

Ältere Menschen, die nicht mehr so oft ihr Zuhause verlassen können, schreiben mit ihren Kindern und Enkeln – statt nichts von ihrem Alltag mitzubekommen. Zudem hebt Luhmann Minderheiten und Personen mit speziellen Vorlieben hervor. „Foren sind mitunter eine große Erleichterung, weil sich die Menschen endlich austauschen können und als Teil einer Gruppe sehen.“ Auch wer zum Beispiel eine Angststörung hat, und nicht vor die Tür kann, findet im digitalen Raum Gehör.

Apps soll es bald auf Rezept geben

Wer dieses Potenzial ausschöpfen will, ist Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Geht es nach ihm, sollen sich Patienten ab dem nächsten Jahr zertifizierte Apps vom Arzt verschreiben lassen. Auf Rezept, wie bei einem Medikament. Eine der Apps ist Moodpath.

Die digitale Anwendung ist ein Stimmungstagebuch, entwickelt von Psychologen, Ärzten, und in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin. Jeden Tag werden dem Nutzer morgens, mittags und abends Fragen gestellt, wie zum Beispiel: Fühlst du dich alleine? Machst du dir häufig übermäßig Sorgen über alltägliche Dinge? Hast du zu Aktivitäten gerade keine Lust? Nach zwei Wochen gibt es eine Auswertung, ob derjenige depressive Symptome aufweist und Hilfe benötigt. Oder nicht. Seit 2016 haben 1,5 Millionen Menschen Moodpath in 60 möglichen Ländern heruntergeladen. Der Unternehmenssitz ist in Berlin.

Wir benutzen das Smartphone inzwischen doch sowieso ständig. Warum dann nicht auch im positiven Sinne?“

Felix Frauendorf

„Die App soll keine Psychotherapie ersetzen“, sagt Felix Frauendorf, einer der beiden Gründer. „Sie hilft aber dabei, überhaupt erstmal die eigenen Gefühle und Gedanken zu reflektieren. Und zu sehen, ob eine Therapie notwendig ist.“ Nur in der Hälfte aller Fälle würden Depressionen überhaupt erkannt werden, sagt er. Viele Betroffene trauen sich noch immer nicht, zu einem Arzt oder Psychologen zu gehen – und wenn, warten Menschen in Deutschland vier bis sechs Monate auf einen Termin. „Ich kenne den Vorwurf, jetzt sollen die Leute jene Technologie nutzen, die Schuld an Vereinsamung und Depressionen ist“, sagt Frauendorf. Es gebe aber keinen belegten heftigen Anstieg von depressiven Menschen seit 2007, als das iPhone vorgestellt wurde. Die mehrfach untersuchte App soll die Leiden vielmehr um 25 bis 30 Prozent reduzieren. „Wir benutzen das Smartphone inzwischen doch sowieso ständig“, sagt der Gründer. „Warum dann nicht auch im positiven Sinne?“

Wer in eine neue Stadt zieht, kann sich bei Facebook-Gruppen anmelden – und dann zu realen Treffen verabreden. Wer seine Nachbarn kennen lernen möchte, kann Internetportale nutzen. Über die Website nebenan.de haben sich im ganzen Land bereits mehr als eine Million Menschen miteinander vernetzt. Sie leihen sich Werkzeuge, gehen gemeinsam zum Sport. Werden Helfer, vielleicht Freunde. Klar könnten sie auch einfach anklingeln. Machen viele aber nicht.

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