Wirtschaft

„Wer depressiv veranlagt ist, sollte besser nicht zur Bahn gehen“

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Für die schwierige Lage der Bahn findet Richard Lutz deutliche Worte. Der Vorstandsvorsitzende über pünktlichere Züge und Zukunftspläne. Ein Interview.

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn Richard Lutz.

Richard Lutz stammt aus einer Eisenbahnerfamilie. Seit 2017 ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Insgesamt arbeitet er dort bereits seit 25 Jahren. Mit dem Tagesspiegel hat er über die Probleme des größten deutschen Staatskonzerns gesprochen. Doch gerade mit Blick auf die Klimakrise ist er überzeugt: “Wir sind die Guten.”

Der größte Staatskonzern mit seinen rund 330.000 Beschäftigten steckt in der Dauerkrise. Sorgen Sie sich um den Schienenverkehr und die Zukunft der Bahn?


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Wer depressiv veranlagt ist, sollte besser nicht zur Bahn gehen. In der Tat haben wir derzeit einige schwierige Themen zu lösen. Aber wir wissen, was zu tun ist, und gemeinsam schaffen wir das – im Interesse von Kunden und Mitarbeitern. Der Schienenverkehr hat als umwelt- und klimaverträglichster Verkehrsträger glänzende Perspektiven. Wir müssen und werden diese Chance nutzen.

Personen- und Güterzüge sind oft unzuverlässig, Gleisnetze überlastet, Anlagen veraltet. Die DB ist hoch verschuldet, dringend nötige Investitionen können nicht mehr finanziert werden können ohne Notverkäufe, noch mehr Kredite oder weitere Hilfe vom Bund. Woher rührt Ihr Optimismus?

Ende des vergangenen Jahres haben wir dem Aufsichtsrat und der Bundesregierung mit unserer „Agenda für eine bessere Bahn“ ein Konzept vorgelegt, das mehr Kapazitäten bei Infrastruktur, Personal und Fahrzeugen schaffen wird. Wir investieren so viel wie nie zuvor. Die Trendwende ist eingeleitet. Aber wir alle müssen die Wachstumsschmerzen noch eine Weile aushalten. Leider.

Konzern-Betriebsratschef Jens Schwarz fordert: Wir müssen endlich raus aus dem dauernden Krisenmodus! Viele Eisenbahner sind skeptisch, genervt, frustriert und fühlen sich überlastet.

Die Lage ist schwierig, aber permanentes Krisengerede macht es sicherlich nicht besser. Im Gegenteil! Sehr viel ist auf den Weg gebracht, die Richtung stimmt und erste Erfolge sind sichtbar. Daher ist mir um die Zukunft der Bahn wirklich nicht bange.

Finden Sie trotz der schwierigen Lage des Konzerns auf dem ausgedünnten Arbeitsmarkt die benötigten Mitarbeiter?

Ja! Unsere Personaloffensive läuft auf vollen Touren. Mehr als 12.000 Zusagen für Neueinstellungen sind es allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres. Bis zum Jahresende ist fast das Doppelte geplant. Die Bahn ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber, gerade für Menschen, die etwas bewegen wollen und denen Klima- und Umweltschutz wichtig sind. Nicht zuletzt junge Leute zieht es immer öfter zur DB. Und wir haben eine Vielzahl spannender Jobs zu vergeben.

Voriges Jahr sank der Jahresüberschuss um fast ein Drittel. Wie liefen die ersten Monate 2019?

Bei Umsatz und Ertrag liegen wir bis Ende April im Rahmen unserer Erwartungen. Die Einnahmen wachsen, besonders im Fernverkehr. Dort werden wir in diesem Jahr erneut einen Fahrgastrekord verzeichnen können. Fürs Gesamtjahr peilen wir im Konzern ein operatives Ergebnis (EBIT) von 1,9 Milliarden Euro an. Das ist etwas weniger als 2018, da müssen wir noch mehr Geld für zusätzliches Personal, Qualität und Service in die Hand nehmen. Diese Investitionen zahlen sich auf Wachstum und Beschäftigung aus.

Das größte Ärgernis für Ihre Kunden sind verspätete Züge vor allem im Fernverkehr. Ist Besserung in Sicht?

Ja. Die im letzten Jahr eingeleiteten Maßnahmen wirken. Die Pünktlichkeit entwickelt sich seit Jahresanfang sehr erfreulich. Das Jahresziel im Fernverkehr sind 76,5 Prozent, und wir liegen bisher über dieser Marke. Auch der Mai läuft bisher sehr ordentlich, an vielen Tagen lagen wir sogar über 80 Prozent. Jetzt kommt es darauf an, dass wir auch gut durch den Sommer kommen.

Verkehrsminister Scheuer will mit dem Schienenbündnis und dem Deutschland- Takt 2030 die Trendwende schaffen. Ist das der richtige Weg?

Ich bin seit 1994 bei der Deutschen Bahn und habe noch keine Zeit erlebt, in der es eine so breite politische Unterstützung für die Schiene gab. Dafür bin ich sehr dankbar. Jeder weiß inzwischen, dass die Bahn elementar ist für das Erreichen unserer Klimaziele. Unsere ICE-Züge fahren bereits klimaneutral und belasten die Umwelt mit weniger als einem Gramm Treibhausgas pro Kilometer und Fahrgast. Beim Pkw sind es 139 Gramm, beim Flieger sogar mehr als 200. Also: Wir sind die Guten! Das Geld für die Bahn ist bestens investiert.

Experten schätzen, dass für einen leistungsfähigen D-Takt 2030 wenigstens 100 Milliarden Euro staatliche Investitionen ins Schienennetz nötig sind. Was denken Sie?

Klar ist, dass wir ganz enorme Investitionen brauchen und die Bundesregierung bereit ist, sehr viel mehr Geld als bisher bereitzustellen. Zudem ist erfreulich, dass die Politik mit dem Deutschland- Takt sehr langfristig und vom Ende her denkt. Wir beginnen, Zielfahrpläne zu erstellen und daraus die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen abzuleiten. Das heißt, wir entscheiden, welche Aus- und Neubauten wir brauchen, um Metropolen künftig im Halbstundentakt zu verbinden, die Fläche optimal zu erschließen und natürlich auch ausreichend Platz für Güterzüge zu schaffen. Das ist ein Riesenfortschritt und wird den Schienenverkehr deutlich attraktiver machen.

Bei ihrer Protestdemo am Montag hat die Bahngewerkschaft EVG mehr Geld für die Schiene vom Bund gefordert.

Wichtig ist es, einen breiten Konsens in der Politik, mit den Arbeitnehmervertretern und im DB-Aufsichtsrat zu finden, um das System Schiene zu stärken. Dafür braucht es eine ausreichende Finanzierung. Denn allen sollte klar sein: Zum Nulltarif sind mehr Kapazitäten und damit eine bessere Bahn definitiv nicht zu bekommen.

Die staatlichen Investitionen ins Netz sind das eine, der hohe Finanzbedarf der DB AG ist das andere. In Ihrer Mittelfristplanung bis 2023 klafft ein riesiges Loch. Wie wollen Sie die geplanten 200 Züge, mehr Mitarbeiter und alle anderen Investitionen für mehr Qualität und Pünktlichkeit finanzieren?

Wir haben mit unserer „Agenda für eine bessere Bahn“ das Preisschild genannt: fünf Milliarden Euro, die wir bis 2023 zusätzlich benötigen, um alles umzusetzen. Das ist keine kleine Hausnummer, aber sehr gut investiertes Geld. In Sachen Wachstum und Beschäftigung bleiben wir auf dem Gaspedal, während andere Konzerne konjunkturbedingt nun eher auf die Bremse treten. Und wir wollen mit dem Verkauf oder Börsengang unserer britischen Tochter Arriva einen nicht unerheblichen Teil des Geldes selbst beschaffen.

Der Brandbrief des gesamten DB-Vorstands an die Führungskräfte löste vorigen Herbst viele kritische Berichte über die schwierige Lage des Konzerns aus. Bereuen Sie die Aktion?

Dieser interne Rundbrief des gesamten Vorstandes hat ungeschminkt und ehrlich die Lage beschrieben und war ein Appell, dass alle mithelfen müssen, die Bahn besser zu machen. Mit der damals angekündigten qualifizierten Ausgabensteuerung haben wir rund 110 Millionen Euro in nur dreieinhalb Monaten eingespart, ohne dass wir beim Kunden Abstriche gemacht hätten. Damit werden wir den Konzern aus strategischer Sicht gewiss nicht gesunden. Aber es ist ein wichtiges Signal, wie sehr wir kämpfen, um unsere Ziele einzuhalten.

Die Konzernzentrale hat selbst offenbar nicht immer sparsam agiert. In den letzten Jahren wurden mehr als 500 Millionen Euro für Berater und ihre oft wenig hilfreichen Konzepte ausgegeben. „DB2020+“ strebte die illusionäre Verdoppelung des Umsatzes an. Und auch das letzte von McKinsey entwickelte Konzept „Zukunft Bahn“ Ihres Vorgängers Grube war ein Fehlschlag, wie auch der DB-Betriebsrat kritisiert.

„Zukunft Bahn“ hatte die richtigen Ziele. Viele erfolgreiche Maßnahmen stammen aus diesem Programm. Was wir unterschätzt hatten, war der Einfluss von mangelnden Kapazitäten auf Betriebsqualität und Pünktlichkeit. Deshalb haben wir hier deutlich nachgelegt. Die Beraterkosten werden übrigens bereits in diesem Jahr gedeckelt. Hier gibt es signifikante Einschnitte.

Zum Problemprojekt Stuttgart 21: Bleibt es bei den Kosten von höchstens 8,2 Milliarden Euro und der Eröffnung Ende 2025?

Davon gehen wir derzeit aus. Aktuell sehen wir weder weitere Termin- noch Kostenrisiken. Sorgen bereitet uns jedoch die Entwicklung der Baupreise, die es auch bei anderen Projekten der Infrastruktur gibt.

Nach Ihrer vertraulichen Agenda muss die DB AG allein bis 2023 rund 3,3 Milliarden Euro und damit das Sechsfache des Jahresüberschusses für S 21 aufbringen. Wie soll das gehen?

Wir haben die gesamten Mehrkosten in unserer „Agenda für eine bessere Bahn“ vollständig mit höheren Eigenmitteln und höherer Verschuldung hinterlegt. Da gilt für uns das Prinzip des vorsichtigen Kaufmanns. Wir wollen aber weiterhin mit unseren Projektpartnern klären, wie diese Mehrkosten verteilt werden können.

Immer wieder gibt es Gerüchte, Ihre Ablösung sei nur eine Frage der Zeit. Haben Sie noch Rückhalt bei der Regierung und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat?

Wir haben als Bahnvorstand Ende letzten Jahres unsere „Agenda für eine bessere Bahn“ vorgelegt. Im Sommer wird die neue Dachstrategie folgen. Das ist für mich der richtige Weg und dafür kämpfe ich, mit Herzblut und Leidenschaft – wie die letzten 25 Jahre, seit ich bei der DB bin.

Das Gespräch führte Thomas Wüpper

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