“Rammstein: Paris” ist einer der bemerkenswertesten Konzertfilme der letzten Jahre. Nie kam man den Teutonen-Rockern näher – doch die brachialen Bilder und epileptischen Schnittorgien dürften nicht jedermanns Sache sein. 3Sat feiert mit Rammstein ins neue Jahr.
Muskeln und Stahl – das ist die Essenz von Rammstein
Konzertfilme sind immer so eine Sache. Die Bilder sind meist toll, man sieht die Bandmitglieder überlebensgroß in Nahaufnahme auf dem Fernseher. Der Sound ist häufig besser als im Stadion. Doch oft hat man das Gefühl, als würde lediglich der Auftritt abgefilmt werden, unterbrochen von Schnittbildern ekstatischer Fans. Es sind nicht mehr als in HD festgehaltene Erinnerungen.
Gefilmt mit 30 Kameras
“Rammstein: Paris” ist komplett anders. Es ist das wohl ambitionierteste, bildgewaltigste Projekt der letzten Jahre. Mehr Kunstwerk als Konzertfilm. Gefilmt wurde die Show an zwei Abenden im März 2012 im Pariser Palais Omnisports vor jeweils 17.000 Menschen. Insgesamt 30 Kameras kamen zum Einsatz, das macht an beiden Abenden zusammen 60 verschiedene Blickwinkel. Mitunter bekommt man das Geschehen aus ungewöhnlichen Perspektiven wie der Hallendecke zu sehen.
Der Kopf hinter “Rammstein: Paris” ist der schwedische Regisseur Jonas Åkerlund, bekannt für seine zahlreichen Musikvideos für U2, Madonna, Roxette und Metallica. Er ist kein Unbekannter im Rammstein-Kosmos, er führte auch schon bei den Musikvideos “Pussy” und “Ich tu dir weh” Regie und löste damit 2009 eine deutschlandweite Debatte aus.
Das Comeback des Gummipenis
Eine Liveshow von Rammstein ist seit je her etwas fürs Auge. Nun sieht man aus nächster Nähe, wie Frontmann Till Lindemann mit meterbreiten Flügeln die Bühne betritt, mit einem Flammenwerfer um sich schießt oder Keyboarder Flake Lorenz mit einem riesigen Gummipenis malträtiert.
Rammstein-Frontmannn Till Lindemann gibt auf der Bühne alles
Åkerlunds Clou: Jeder Song bekommt eine eigene visuelle Idee. So sind einige Passagen mit Farbfiltern versehen oder gar in Schwarz-Weiß inszeniert, es gibt Zeitlupenaufnahmen, mitunter merkwürdige Special Effects. So fährt Till Lindemann plötzlich eine Schlangenzunge aus dem Mund, aus den Händen von Flake schlagen Blitze, merkwürdige Kaleidoskop-Effekte verzerren das Bild. Das ist albern, aber so bricht Åkerlund das starre Nacherzählen gängiger Konzertfilme auf – und schafft auf diese Weise eine neue Erzählebene.
“Rammstein: Paris” – eine überfordernde Schnittorgie
Und als man sich nach 50 Minuten Bildgewitter fragt, was soll da noch kommen, lässt die Band zwischen einem Podest in der Mitte des Saals und der riesigen, 24 Meter breiten und 15 Meter hohen Bühne eine Brücke herab. Direkt über den Köpfen der Zuschauer. Auf dem nur wenige Meter breiten Podest spielt die halbnackte Band auf engstem Raum drei Songs (“Bück dich”, “Mann gegen Mann”, “Ohne dich”). Doch selbst hier, nur wenige Zentimeter vom Publikum entfernt, bleiben die Zuschauer eine anonyme, im Dunkeln wabernde Masse. Im Fokus bleibt stets das Berliner Sextett.
Die schnellen Schnitte, teils mehrere pro Sekunde, passen jederzeit genau auf den Rhythmus der Musik. Die optische Reizüberflutung ist anstrengend, zwischendurch will man den Augen dringend Ruhe gönnen. Doch Rammstein feuern ohne Unterlass aus allen Rohren. 21 Songs in knapp 100 Minuten, da bleibt nicht viel Zeit für Verschnaufpausen oder Ansagen (Die 3Sat-Version ist leider geschnitten, hier sind nur 16 Songs zu sehen – die gezeigten Songs finden Sie unten).
Erst ganz zum Schluss, nach dem Abspann, wird es ruhiger, als Bassist Oliver Riedel zur Akustikgitarre greift – und “Frühling in Paris” anstimmt. Oh non, rien de rien. Oh non, je ne regrette rien.
“Rammstein: Paris” läuft am 31. Dezember um 22.45 Uhr auf 3Sat.
Die vollständige Setlist:
Sonne
Wollt ihr das Bett in Flammen sehen?
Keine Lust
Asche zu Asche
Feuer frei!
Mutter
Mein Teil
Du riechst so gut
Du hast
Bück dich
Mann gegen Mann
Ohne dich
Mein Herz brennt
Engel
Pussy
Frühling in Paris
Rammstein-Sänger Till Lindemann und Joey Kelly:
Ein Boot. Zwei Männer. Drei Wochen Einsamkeit.
Till Lindemann und Joey Kelly im Yukon
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