Wirtschaft

„Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz“

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Reinhold von Eben-Worlée, Chef des Familienunternehmerverbands, fordert im Interview schnelle Reformen. Angst vor Jamaika hat er nicht.

„Die deutsche Politik braucht frischen Wind“, meint Reinhold von Eben-Worlée und glaubt, dass in einer möglichen Jamaika-Koalition…

Reinhold von Eben-Worlée, geboren 1957, ist seit diesem Jahr Präsident des Verbands der Familienunternehmer und selbst Unternehmer. Der Vater von drei Töchtern leitet seit 1995 die Worlée-Gruppe. Das Hamburger Unternehmen produziert mit 600 Mitarbeitern Rohstoffe für die Lack-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie, etwa Trockenfrüchte für Müsliriegel oder Zutaten für Tütensuppen. Der Verband, den von Eben-Worlée vertritt, reklamiert für sich, Sprachrohr der meisten Unternehmen zu sein. 90 Prozent aller deutschen Firmen sind Familienunternehmen, heißt es – darunter viele Weltmarktführer.

Herr von Eben-Worlée, wie groß ist Ihre Angst vor einer Jamaika-Koalition?

Ich habe generell wenig Ängste, und vor Jamaika fürchte ich mich schon gar nicht. Die deutsche Politik braucht frischen Wind. In der großen Koalition ist vieles erstarrt, wichtige Reformen sind nicht angepackt worden. Die neue Regierung, wenn sie denn so kommt, könnte eine Chance für die Wirtschaft sein, wenn die Ziele richtig definiert werden.

Aber drohen Ihnen denn mit den Grünen nicht neue Gerechtigkeits- und Verteilungsdiskussionen? Etwa bei der Erbschaft- und Vermögensteuer?

Die Grünen waren ja schon mal in der Regierung und haben da ganz anders agiert als im Wahlkampf. Wie es dieses Mal sein wird, muss man mal sehen. Und was die Erbschaft- und Vermögensteuer angeht, so unterscheiden sich die Positionen der Grünen ja deutlich von denen der FDP und der Union. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit Angela Merkel eine Wiedereinführung der Vermögensteuer oder eine Erhöhung der Erbschaftsteuer machbar wären. Und Steuererhöhungen sind im Moment ja ohnehin nicht angesagt. Wir haben die größten Steuereinnahmen aller Zeiten, und die Prognosen sind weiter positiv.

Die jüngste Reform der Erbschaftsteuer ist für die Unternehmen ja ziemlich glimpflich ausgegangen. Wie groß ist der politische Einfluss der Familienunternehmen?

Jedenfalls nicht so groß wie wir uns das wünschen. Wir sind ein wesentlicher Teil der Wirtschaft. 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze entfallen auf die Familienunternehmen. Deshalb betrachten wir uns als erhaltenswerte Spezies. Das Blut eines Unternehmens ist das Kapital. Je mehr Kapital man hat, desto mehr kann man investieren und Arbeitsplätze schaffen. Wenn man das Kapital aus dem Unternehmen herausnimmt, um Steuern zu bezahlen, geht das nicht mehr. Egal ob man die Körperschaftsteuer oder die Erbschaftsteuer erhöht oder die Vermögensteuer einführt, je weniger Kapital ein Unternehmen hat, desto weniger kann es expandieren. Das sieht man ja sehr gut an den großen US-Internetfirmen. Die zahlen hier bei uns kaum Steuern und haben daher eine gewaltige Investitionskraft, während die europäischen Unternehmen unter hohen Steuern leiden. Beides ist nicht gut.


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Wen vertreten Sie eigentlich? Sind auch die Familien Porsche und Piech Mitglied in Ihrem Verband?

Nein. Volkswagen ist ein Großunternehmen mit hohem Streubesitz und erstaunlichem staatlichen Einfluss, das ist kein Familienunternehmen.

Aber Familienunternehmen können ja auch groß sein, wie etwa das Beispiel Dr. Oetker zeigt.

Wir haben keine Firmen-, sondern nur persönliche Mitgliedschaften. Aber einige Familienmitglieder von Oetker sind bei uns Mitglieder.

Als Familienunternehmer sind Sie nah am Geschehen. Wie gut geht es Deutschland wirtschaftlich?

Sehr gut, es ist uns wirtschaftlich noch nie besser gegangen. Wir haben seit Jahren eine stabile Konjunktur und Wachstum und nähern uns immer mehr der Vollbeschäftigung an. Das ist aber nicht nur Verdienst der Politik beziehungsweise der rot-grünen Agenda 2010, sondern liegt auch an den niedrigen Energiepreisen, dem schwachen Euro und der hohen Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeiter.

Wo lauern die größten Risiken? Bei der Digitalisierung, dem Brexit oder dem Arbeitskräftemangel?

Bei der Digitalisierung läuft Deutschland Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Wir haben schon früh ein gutes Autobahnnetz gebaut, aber bei den Hochgeschwindigkeitsdatennetzen hinken wir mächtig hinterher. Es wäre schön, wenn in der neuen Regierung jemand hauptamtlich diese Aufgabe übernehmen würde.

Sie sind für einen Digitalminister?

Ein koordinierender Staatsminister im Kanzleramt wäre besser. Der müsste sich nicht nur um den Netzausbau, sondern auch um die vielen rechtlichen Fragen kümmern, etwa den Datenschutz. Wenn eine Hand alles koordinieren würde, könnte die Aufgabe professioneller erledigt werden.

Wie digital sind Ihre Mitgliedsunternehmen?

Digitalisierung ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzieht. Es ist nicht damit getan, einen Server hinzustellen, man muss ja alle Arbeitsbereiche vernetzen – Maschinensteuerung, autonomes Fahren, Logistik und vieles mehr.

Verdrängen die Maschinen die Menschen am Arbeitsplatz?

Das ist möglich, aber die Arbeitsplätze entstehen an anderer Stelle neu. Wir brauchen Programmierer, Entwickler, aber auch Menschen, die soziale Dienstleistungen übernehmen. Das können die Maschinen nicht. Wir werden immer Arbeitskräfte suchen, auch wegen des demographischen Wandels.

Wo fehlen Arbeitskräfte?

Bei allem, was mit Digitalisierung zu tun hat, ist der Arbeitsmarkt leergefegt. Die Unternehmen kämpfen um die besten Köpfe. Aber wir brauchen nicht nur Programmierer, sondern auch Handwerker, die Leitungen verlegen und flicken können. Knapp ist es auch im naturwissenschaftlichen Bereich, also bei allem, was mit Biologie oder Chemie zu tun hat. Gesucht sind auch Mitarbeiter für die Energiewende. Ohne qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Ausland wird das alles nicht mehr gehen.

Das heißt, Sie fordern ein Zuwanderungsgesetz?

Ja. Es gibt viele Bereiche, die ohne ausländische Arbeitskräfte nicht wachsen können. Viele Mittelständler sind ja mit Werken im Ausland vertreten, sie haben daher Erfahrung im Umgang mit der Integration kulturfremder Mitarbeiter und könnten das in Deutschland nutzen. Wir brauchen eine vernünftige Zuwanderungspolitik. Nach der Bildung der neuen Regierung müssen wir dieses Thema sofort anfassen.

Wie viele Zuwanderer bräuchte man im Jahr?

Allein durch die Rente mit 63 fehlen hunderttausende Arbeitnehmer. Durch das Demographieloch kommen weitere Millionen dazu. An diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass wir eher mehr statt weniger Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland brauchen. Und natürlich geht das nicht von heute auf morgen, weil die Menschen ja integriert werden müssen. Sprachkurse sind nötig, Wohnraum, die Kinder müssen zur Schule gehen können, eine kulturelle und soziale Anbindung ist wichtig – die Menschen sollen sich ja wohlfühlen bei uns. Sonst gehen sie wieder weg. Man darf nicht die Fehler aus den 60er und 70er Jahren wiederholen, als man Gastarbeiter aus Anatolien geholt hat, ihnen ein Bett hingestellt hat und sie wieder nach Hause schicken wollte, wenn die Arbeit ausgeht.

Die Flüchtlingspolitik hat das Land gespalten und der AfD Wahlerfolge beschert. Wie groß ist die Akzeptanz für ein Zuwanderungsgesetz?

Wir müssen das streng auseinanderhalten. Eine qualifizierte Zuwanderung ist etwas anderes als Flucht oder Asyl. Wobei wir uns natürlich auch bemühen, Geflohene zu integrieren, was nicht immer leicht ist. Viele Unternehmen engagieren sich, ich auch. Oft mit Erfolg, aber ein Teil der Geflohenen wird nicht integriert werden können. Nur vom sozialen Sicherungssystem zu leben, macht aber keinen Sinn, ein Familiennachzug in solchen Fällen auch nicht.

Was tun Sie in Ihrem Unternehmen für die Integration der Geflohenen?

Das Arbeitsamt schickt uns Leute, die wir in die Produktion nehmen. Wir versuchen, die Menschen anzulernen, aber sie müssen integrationsfähig sein, also Deutsch lernen und zuverlässig sein. Wir stellen ja Nahrungsmittelrohstoffe her und tragen daher eine große Verantwortung. Wer sich bewährt, den bilden wir aus. Wir brauchen ja Leute.

Wie viele von den Geflohenen schaffen es, dauerhaft einen Job zu bekommen?

Ich habe keine Zahlen, aber aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass es leider nicht jeder schafft. Aber wir bemühen uns trotzdem weiter.

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