Wirtschaft

“Euro-Austritt darf kein Tabu mehr sein”

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Vor 20 Jahren wurde der Euro als Buchgeld eingeführt. Otmar Issing, damaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, zieht eine kritische Bilanz.

Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, aufgenommen während der ARD-Talksendung “Günther Jauch” im…

Sieben Stunden haben sie damals mit dem Euro gerungen: So lange diskutierten die Abgeordneten im deutschen Bundestag am 23. April 1998 über die Einführung der Gemeinschaftswährung. Am Ende war dann doch eine große Mehrheit dafür (35 Gegenstimmen gab es, die meisten von der PDS, einer Vorgängerpartei der heutigen Die Linke). Und so war es beschlossen: Deutschland sollte zum Jahreswechsel 1998/99 eines von elf Ländern sein, die den Euro einführten. Zunächst allerdings nur als Buchgeld: Das heißt, vorerst rechneten einzig Banken und andere Teilnehmer am Finanzmarkt in Euro. Verbraucher konnten in diesen ersten drei Jahren selbst entscheiden, ob sie ihr Konto in DM oder Euro führen wollten. Das änderte sich erst mit dem 1. Januar 2002, als der Euro auch als Bargeld eingeführt wurde.

Otmar Issing (heute 82) war von Anfang an skeptisch, ob dieses Experiment einer Gemeinschaftswährung gelingen würde – dabei gilt er als einer der Väter des Euro. Er war 1998 der erste Chefvolkswirt der damals neugegründeten Europäischen Zentralbank (EZB), ein Amt das er acht Jahre lang ausübte. Zuvor hat er als VWL-Professor gelehrt, war Wirtschaftsweise und Chefvolkswirt der Bundesbank. Heute ist Issing Präsident am Center for Financial Studies, einem Forschungsinstitut der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Herr Issing, am 1. Januar vor 20 Jahren ist der Euro als Buchgeld eingeführt worden. Ist die Gemeinschaftswährung aus Ihrer Sicht heute ein Erfolg oder wünschen Sie sich manchmal die DM zurück?

Der Euro ist eine stabile Währung – entgegen großen Befürchtungen gerade in Deutschland. Die jahresdurchschnittliche Inflationsrate für den Euro liegt bei 1,7 Prozent. Für die gute alte DM während ihrer Existenz von 50 Jahren betrug dieser Wert immerhin 2,8 Prozent. Allerdings steigen die Preise schon seit längerem weltweit nur wenig. Der wirkliche Test steht also noch aus.

Trotzdem kritisieren Sie immer wieder die Schwäche des Euros. Warum?

Die Schwäche des Euro ist begründet in den großen Unterschieden in der Wirtschaft und den wirtschaftspolitischen Vorstellungen in den inzwischen 19 Mitgliedstaten des Euroraumes.

Mark und Pfennige in einer Ladenkasse. Auch Jahre nach der Euro-Einführung liegen noch Milliarden D-Mark bei den Bürgern, hat die…

Was ist schief gelaufen?

Die Wirtschaftspolitik in einer ganzen Reihe von Ländern ist ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden. Sie haben sich so verhalten wie in der Vergangenheit, haben Schulden angehäuft und die Löhne steigen lassen, als könnten sie das noch immer durch eine Abwertung korrigieren. Aber dieses in der Vergangenheit so oft benutzte Instrument steht mit der Aufgabe der eigenen Währung und der Einführung des Euro nicht mehr zur Verfügung. Genau hier müssen Reformen ansetzen.

Und wenn es die nicht gibt?

Kommt es nicht zu den dringend erforderlichen Reformen, dann nehmen die Spannungen im Euroraum weiter zu. Die gegenwärtige Regierung in Italien liefert dazu ein mehr als bedenkliches Beispiel. Sie verstößt nicht nur gegen Verpflichtungen, die das Land mit der Europäischen Kommission getroffen hat, sie brüstet sich auch noch mit der bewussten Verletzung der Regeln.

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Wäre der Austritt eines Landes wie Italien eine Option?

Die Europäische Währungsunion, gegründet auf das Versprechen eines stabilen Euro, kann nur fortbesten, wenn sich alle Länder an die eingegangenen Verpflichtungen halten. Der Austritt eines Landes aus der Währungsunion ist bisher nicht vorgesehen – der Beitritt gilt als irreversibel, sozusagen auf „ewig“. Werden die Konflikte wegen des Fehlverhaltens eines Landes oder gar mehrerer Länder extrem, dann kann man auch das Thema Austritt nicht länger tabuisieren.

Die Fragen stellte Carla Neuhaus

Aus dem Archiv: Otmar Issings Urteil zum Euro ein Jahr nach der Einführung, im Dezember 1999.

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