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Hat Sarif wirklich das Handtuch geworfen?

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Was steckt hinter der Rücktrittsankündigung des iranischen Außenministers Dschawad Sarif? Er ist den Hardlinern seit langem ein Dorn im Auge, aber er könnte gestärkt zurückkommen, meinen Beobachter.

Angeblich hat Sarif schon mehrmals seinen Rücktritt angeboten, nur jetzt erstmals öffentlich, wie AFP von einem hochrangigen iranischen Abgeordneten erfahren hat. Die Rücktrittsankündigung Sarifs erfolgte am frühen Dienstagmorgen per Instagram: Er entschuldige sich dafür, dass es ihm “unmöglich” sei, “weiterhin zu dienen”, und auch “für alle meine Unzulänglichkeiten während meiner Amtszeit.”

Warum ihm die weitere Ausübung seines Amtes unmöglich sei und welcher Art seine Unzulänglichkeiten waren, ging aus dem Instagram-Post nicht hervor. Darum sei es auch gar nicht gegangen, meint Sian Tossi vom National Iranian American Council in Washington im Gespräch mit der DW. Sarif habe vielmehr mit seiner Formulierung um Sympathie geworben: “Mit seiner Ankündigung wollte Sarif einen öffentlichen Aufschrei provozieren und um Unterstützung werben. Wenn Ruhani das Rücktrittsangebot nicht annimmt, könnte Sarif mit größerer Legitimität und verstärkter Macht sein Amt weiterführen.”

Sarif und Präsident Rohani – innen- und außenpolitisch unter Druck

“Sarif steht an vorderster Front gegen die USA”

Tatsächlich hat sich gegen den Rücktritt Sarifs sogleich eine Mehrheit der Parlamentarier in einer Petition an Präsident Rohani ausgesprochen. Vom Büro Rohanis hieß es bislang nur, dass der Präsident dem Rücktrittsgesuch nicht entsprechen werde. Rohani selber lobte am Dienstagmorgen, also nach der Instagram-Mitteilung Sarifs, seinen Außenminister, ohne auf den Rücktritt einzugehen: “Derzeit befinden sich das Außenministerium, das Ölministerium sowie die Zentralbank an der Front im Kampf gegen die USA. Sarif (und die Chefs der beiden anderen Behörden) stehen an der vordersten Kampflinie”, sagte Rohani in einer im Fernsehen übertragenen Rede. 

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA hat Sarif gegenüber Kollegen seinen Rücktritt mit dem Ziel begründet, das “Außenministerium wieder in seine rechtmäßige Position bei der Gestaltung der Außenbeziehungen (Irans) zu bringen.” Dem bekannten Abgeordneten des Reformlagers Ali Motahari zufolge hat Sarif seinen Rücktritt als Reaktion auf “Einmischung von nicht rechenschaftspflichtigen Einheiten in die Außenpolitik” erklärt.

Sarif war bei einem Blitzbesuch des syrischen Machthabers Assad in Teheran am Montag nicht anwesend. Assad traf jedoch mit Rohani, Ali Chamenei, und dem Kommandeur der Revolutionsgarden, Kassem Soleimani, zusammen. Dass Sarif übergangen wurde, könnte dieser laut der iranischen Nachrichtenagentur Entekhab als Demütigung und Verlust seiner internationalen Glaubwürdigkeit empfunden haben.

Irans höchster Führer Chamenei hat Sarif bislang gestützt

“Gelegenheit gut genutzt”

Hingegen glaubt Abbas Abdi, ein früherer US-Botschaftsbesetzer und heute kritischer Journalist in Teheran, nicht daran, dass Sarif allein wegen der Nicht-Teilnahme am Treffen mit Assad seinen Rücktritt eingereicht hat. “Sarif war anscheinend nicht informiert. Meines Erachtens ist dies jedoch nicht der Hauptgrund für seinen Schritt, sondern die fehlende Unterstützung seiner Außenpolitik durch Konservative und Hardliner. Ohne volle Unterstützung von innen kann die Außenpolitik nicht funktionieren. Schon lange vorher wurde spekuliert und erwartet, dass Sarif zurücktreten wird. Gestern hat er die Gelegenheit gut genutzt und seine Entscheidung verkündet.”

Sarif, auf iranischer Seite die treibende Kraft hinter dem Zustandekommen des internationalen Atomabkommens, ist laut dem iranisch-amerikanischen Autor Hooman Majd der “talentierteste Diplomat und Unterhändler der Islamischen Republik Iran”. Als solcher ist er für die Vertretung der iranischen Interessen auf internationaler Bühne unentbehrlich. Das weiß auch der geistliche Führer Ayatollah Chamenei. Dieser ist zwar bei der Unterdrückung von Kritikern im Innern hundertprozentig ein Mann der Hardliner und des autoritär-klerikalen Systems. Seinen Außenminister Sarif jedoch hat er gegen Angriffe der Hardliner in Schutz genommen und als “Kind der Revolution” verteidigt. Noch vor kurzem hat Sarif in einem Interview mit der Zeitung Jomhouri Islami geklagt, dass das Schwerste für ihn bei den Atomverhandlungen der Widerstand von innen war. Seit der Entscheidung Donald Trumps vom Mai 2018, das Atomabkommen aufzukündigen und die US-Sanktionen wieder in Kraft zu setzen, bläst Sarif der Gegenwind der Hardliner noch stärker als früher ins Gesicht.

Freude über Sarifs Rücktrittsmeldung: Benjamin Netanyahu

Freut sich Netanyahu zu früh?

Wenn also Sarif mit der Unterstützung Chameneis zurückkehrt, werde er seine Position gegenüber seinen Gegnern deutlich gestärkt haben, meint Abbas Abdi. Dieselbe Meinung vertritt auch Amal Saad von der Libanesischen Universität in Beirut: Sie bezeichnet Sarifs via Instagram verkündeten Rücktritt als “brillanten Schachzug mit dem Ziel, sich politische Unterstützung durch (Chamenei) zu sichern.” Und es sei sehr wahrscheinlich, dass Chamenei ihm diese Unterstützung gewähren und ihn vor Angriffen schützen wird, eben wegen seiner “unschätzbaren strategischen Rolle bei der Wahrung Irans nationaler Interessen.” Insofern ist die freudige Reaktion von Israels Regierungschef Netanyahu auf den Rücktritt Sarifs – “gut, dass er weg ist” – folgerichtig. Aber Netanyahu hat sich vielleicht zu früh gefreut.

Mitarbeit: Shabnam von Hein 

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